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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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und ich spürte ihren Geschmack wie von Gras.
    Â»Ist ja gut«, antwortete ich, »wenn wir schon Schluss machen, wieso bist du dann immer noch böse?« Und ich nahm die Schultasche in die andere Hand. Ich war zufrieden mit dem, was ich ihm gesagt hatte. Am allerwichtigsten schien mir, dass er festgestellt hatte, dass ich bin, wie ich bin. Wie er den Kopf so hält, sieht er aus wie ein Vogel, dachte ich und war sicher, dass ich mir nichts aus ihm machte. Auch er zerquetschte die eine oder andere schwarze Maulbeere unter der Schuhsohle und schwieg, er war so nahe, dass ich hin und wieder seinen säuerlichen Atem spürte.
    Ein schwerer LKW fuhr zu der Baustelle am Ende der Straße, lachend rief der Fahrer uns durchs offene Fenster etwas zu, wahrscheinlich nur mir. Die Schuluniform klebte mir an der Haut, die heiße Luft nahm mir den Atem, ich konnte vor lauter gleißendem Licht die Augen nicht offen halten und kaum erwarten, dass es bald ein Ende nahm. Nur im ersten Moment, als er sagte: »Schau mal, so geht es nicht weiter«, war ich erschrocken, dann fand ich mich merkwürdig schnell mit der Leere ab, die ich kommen sah, wenn wir uns trennen würden. So etwas war mir noch nicht passiert, und ich war gespannt, wie es sein würde.
    Â»Was ist los, wieso kommst du nicht zum Essen?«, fragte Mutter, als sie sah, wie ich die Schultasche hinter den Stuhl im Schlafzimmer schleuderte.
    Â»Ich habe mit Mihai Schluss gemacht«, antwortete ich.
    Ich zog mich aus und legte mich ins Bett. Mutter sagte nichts weiter, entweder hatte sie mich nicht gehört, oder sie glaubte mir nicht, ich hatte schon mal gesagt, ich hätte mit Mihai Schluss gemacht, wenn sie böse waren, weil ich mich in der Stadt verspätet hatte. Ich war froh, im Schlafzimmer allein zu sein. Jeni hatte ihr eigenes Zimmer, obwohl ihr Haus noch nicht fertig war, sie konnte nachts lesen, ich musste mit meinem Buch in die Sommerküche ziehen. Ich hörte, wie im Flur der junge Vermieter Mutter beschimpfte, gleich darauf schlief ich ein. Nachmittags, als ich erwachte, war es sehr still, ein leichter Wind war aufgekommen. Ich wusste nichts mit mir anzufangen und ging zu Jeni, um ihr alles zu erzählen, wie das aber morgen, übermorgen, in einer Woche sein würde, konnte ich mir nicht vorstellen. Und unterwegs wurde mir plötzlich klar, dass es aus war mit Mihai, es wurde mir so klar, dass ich am liebsten auf der Stelle losgeheult hätte. Ich ging und spürte, wie ein riesiger Knoten in meiner Kehle schwoll, den ich beim besten Willen nicht hinunterschlucken konnte, meine Augen quollen immer wieder über vor Tränen, aber ich hielt das Weinen zurück, um möglichst bald bei Jeni zu sein.
    *
    Jeni kannte ich so gut, dass ich im Voraus wusste, wie sie angelaufen kommen würde, um mir aufzumachen, in einem Morgenrock ihrer Mutter, offen, viel zu blumig und zu weit, wie sie ihre Haare zurückband, wobei sie, die Spangen im Mund, ihre Stirnlocken frei fallen ließ, wie sie barfuß durchs Haus lief. Ihre Schrift war mir ebenfalls vertraut, denn wir saßen seit drei Jahren in einer Bank. Sie schrieb schneller als ich, wenn ich zurückblieb, schaute ich bei ihr ab, und aus irgendeinem Grund begann ich nach einer gewissen Zeit, einige ihrer Buchstaben zu kopieren. Ich wollte sie genauso schreiben, und später, als wir uns schon Jahre nicht mehr gesehen hatten, schrieb ich sie immer noch so. Ich weiß auch, wie Jeni aussah, wenn sie ihre Hausaufgabe aufsagte – sie hielt den Kopf steif gereckt, sprach schnell und gleichmäßig, und wenn die Lehrerin ihr dazwischenredete, sah sie mit ihren runden blauen Augen sehr verwundert drein und fuhr fort, als wäre nichts gewesen. Sie hatte ein fabelhaftes Gedächtnis und wurde nicht müde, aufzusagen, was sie gelernt hatte. Im Brustton der Überzeugung, dass etwas schon allein deshalb wichtig war, weil sie es kannte, betete sie es her. Besonders merkwürdig erschien mir, dass die anderen wohl auch etwas daran fanden, während ich es nicht mehr ertragen konnte.
    Es gab eine Zeit, da lauerte ich, wenn sie zur Tafel gerufen wurde, gespannt auf ihre Aussetzer, um ihr vorzusagen. Jetzt aber betrachtete ich den Balkon des Hauses gegenüber, mit Blumenkästen voll blühender Petunien und einem rostigen Fallrohr, das quer über die ganze Hauswand lief, ich kannte das zur Genüge, den Balkon, die Stimme, das Fallrohr und wie Jeni die

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