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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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betrachtete sein kleines verschrumpeltes, viel zu ernstes Menschengesicht mit der plattgedrückten Nase und den gerade noch unter dem faltigen blauen Steppmützchen hervorlugenden Augen.
    Â»Sieh zu, dass du nie Kinder kriegst, LetiÅ£ia«, sagte sie und neigte sich über ihn, um die Windel zu lösen. Seine runzligen geröteten Beinchen zappelten in der warmen Luft, die nach Pisse und Milch roch.
    Â»Es tut so weh, man möchte am liebsten in die Stühle beißen …«
    Etwa ein Jahr später kriegte sie allerdings schon das zweite.
    Â»Es ist rachitisch«, sagte Mutter. »Verantwortungslos sind die, sie müssten zum Doktor gehen, damit der ihnen Calcium verschreibt, schau bloß, es ist bald ein Jahr alt und kann noch nicht einmal stehen …«
    Â»Irgendwie sind sie ja auch im Recht«, sagte Onkel Ion. »Sie sind genauso beengt wie wir, in einem Zimmer …«
    Â»Geld haben sie aber genug«, entgegnete Mutter. »Sie haben schon für ein Auto angezahlt … Wieso bauen sie nicht noch ein Zimmer an, wie sie bei der Hochzeit versprochen haben?«
    Â»Sie werden schon noch anbauen, aber erst, wenn sie uns rausgeschmissen haben«, grinste Onkel Ion freudlos. »Und dann wird der Pârvulescu allein wohnen in seinem Haus, denn so nennt er es …«
    Das Haus hatte ihm der Kerzengießer, Cornelias Vater, in der Woche vor der Hochzeit überschrieben. Damals war der Alte vor Freude, dass seine Tochter einen Chefingenieur kriegte, ständig betrunken und schaute bei uns herein, um es zu verkünden. Die Geschäfte laufen wieder, sagte er, seit dieser Schwiegersohn im Haus ist, gibt es keinen Kummer mehr wegen der Genehmigung, sein Schwiegersohn kennt die von der Miliz, vom Finanzamt, von der Gewerbeaufsicht, der hat überall seine Leute, mit denen er zur Not reden kann. Vor fünf Wochen hat ihm jemand diesen Ingenieur für Cornelia angeschleppt, die Sache war von vornherein ausgemacht, ein stattlicher Mann um die vierzig, früher Soldat, dann Abendstudium, jetzt aber will auch er einen Hausstand gründen, wie andere auch. Er hat auf der Stelle ja gesagt, wie sollte dem das Mädel auch nicht gefallen, schön ist sie, das Gymnasium hat sie, ein Haus auch, denn das überlässt er ihr, allerdings auf seinen Namen, für die Jungs wird er schon noch sorgen, so Gott will, wird er im Hof neben dem alten Haus noch ein neues bauen. Da ist ja auch noch das Haus von der Alten, wer weiß, wie lange die es noch macht, wo die doch so am Leben hängt, die ganze Straße redet über sie, weil sie neuerdings auf Jungs scharf ist, aber wie auch immer, man hat nur ein Leben …
    Später kam Cornelia mit ihrem Verlobten zu uns. Er war so groß wie ich, und die paar dünnen Härchen auf seinem kahlen Schädel waren zart und flockig wie bei einem wenige Monate alten Kind, als wären sie nachgewachsen, nachdem er kahl geworden war. Mit seinen neuen Kreppsohlen trat er lautlos auf, und der gestreifte braune Anzug hing über seinem dürren Hintern und an den Ellbogen in blankgescheuerten Falten herab.
    Â»Wir müssen zum Schneider«, sagte Cornelia nach einer Weile und sah auf die kleine goldene Uhr an ihrem dicklichen Handgelenk. »Danke für die Aufmerksamkeit …«
    Â»Habe die Ehre«, sagte Pârvulescu heiser zu Onkel Ion.
    Er setzte die leere Kaffeetasse auf die Untertasse, und als er lächelnd aufstand, sah ich zwei funkelnde Zahnkronen. »Ab jetzt sind wir Nachbarn …«
    Â»Ich bin sicher, dass er vorher bei der Securitate gearbeitet hat … Hast du denn nicht gehört, was er sagte, als …«, wisperte Mutter, als sie draußen waren.
    Doch Onkel Ion reckte verzweifelt die Hände in die Luft zum Zeichen, sie solle bloß still sein.
    *
    Sie hatten in der Laube die Tische zusammengerückt, und Cornelias Mutter kam in einem lila und grün geblümten Seidenkleid, mit glitzernden Perlen am Hals und vor Hitze hochrotem Kopf durch den Garten in unseren Hof und brachte die Tabletts mit Schweine- und Putenbraten. Hinter ihr schleppten zwei oder drei Frauen Teller, Gläser und Besteck herbei und fragten dauernd, wer wo sitzen würde. Auf dem Bürgersteig ging Cornelia im Brautkleid hin und her. Sie klammerte sich an den Arm einer Freundin, die als Brautjungfer ein Krönchen aus rosa Kunstblumen über der pickligen Stirn trug. Sie tuschelten in

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