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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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ich erkennen, ob ihre Mutter zu Hause war. Ab und zu schob ein Lehrling den Riegel an dem großen Hoftor auf und öffnete es, dann fuhr ein Wagen über die feuchten, mit schwarzem Schlamm verschmierten Pflastersteine. Von der Schwelle der Werkstatt aus feilschte der schmerbäuchige Kerzengießer, Cornelias Vater, mit den Bauern, schließlich lachte er dröhnend auf, ging hinein und kam wieder, die langen weißen Kerzen in der Hand. Cornelia rief mich, und wir stiegen zusammen auf das noch warme Blechdach des kleinen Hauses, um uns eine Hochzeit beim Nachbarn anzusehen. Der staubige Hof hallte von dem mit Jauchzern durchsetzten Stimmengewirr, und in einer Ecke unter den lilafarbenen Blütentrauben der hochrankenden Glyzinie flatterte weiß der Schleier der Braut. Von hier oben sahen wir nur die vor Brillantine glänzenden Haarschöpfe und die langsamen Tanzschritte zu den Donauwellen , die der Akkordeonist ohne Unterlass mit solch schrillem Klageton intonierte, dass sie die starre Luft des Sonntags ganz und gar durchdrangen. Feixend polterten Cornelias Brüder die alten Holztreppen zum Dachboden herauf.
    Â»Wir haben ihn gesehen«, rief Fane, ȟber der Großmutter haben wir ihn gesehen, wie er sie gevögelt hat …«
    Â»Haltet den Mund, die Kleine ist hier …«, schimpfte Cornelia und zeigte auf mich.
    Von unten schrie ihnen die Großmutter – mit Fleischwülsten und Rockfalten bewehrt, mit wirren, zu einer Sturmhaube aufgetürmten weißen Haaren – Verwünschungen nach.
    Â»Ich sag’s eurer Mutter«, keifte sie und machte Anstalten, ihnen hinterherzusteigen. »In der Hölle sollt ihr schmoren, verdammte Teufelsbrut …«
    Und hinter dem Rücken der Alten duckte sich mit gesenktem Kopf mucksmäuschenstill der junge Lehrling, ein langhaariger Lulatsch mit Pickeln zwischen den spärlichen Barthaaren. Mit einem Mal wurde es Abend, zottige Wolken verfinsterten das Blau des Himmels, und ich krümmte mich vor Kälte.
    Â»Wir müssen los«, sagte Cornelia und warf ihre schweren Zöpfe über die Schulter, »wir müssen los, denn jetzt geht es an die Arbeit …«
    In der Tür zur Werkstatt flackerte die Gaslampe und warf lange Schatten auf den gestampften Boden. Sehnsüchtig sah ich mit an, wie die drei an die Arbeit gingen zu einer Zeit, wenn ich schlafen ging.
    Â»Geplagte Kinder«, sagte die Mutter, »die müssen die ganze Nacht ran zum Kerzengießen, und an Feiertagen schleppen sie sie mit auf die Märkte … Wie sollen die denn noch zum Lernen kommen?«
    Sie blieben dort an den Spulrädern mit öltriefenden Dochtschnüren, zwischen den fettglänzenden Paraffinblöcken, in der heißen, gasgeschwängerten Luft.
    Später spielten wir dann nicht mehr, und Cornelia ging mit den Jungs auf dem Korso spazieren. Sie trug faltenreiche geblümte Seidenkleider und Schuhe mit hoher Kreppsohle. In einem der folgenden Sommer ließ sie sich eine Dauerwelle machen und wollte mir weismachen, sie habe von Natur aus lockiges Haar. Sie ließ sich in einer der ersten Nylonblusen, die ich gesehen habe, im Fotostudio fotografieren, und ihr retuschiertes Porträt mit tiefrot eingefärbten Lippen und eckig abgesetzten Brauen gilbte über mehrere Sommer im Schaufenster vor sich hin. Sie erzählte mir von den Jungs, die ihr Freundschaft geschworen hatten, und zeigte mir dann ein blaues Schulheft, ihr Poesiealbum. In einem von roten Blumen umrankten Rahmen hatte sie als NELLY gezeichnet. WAS MEINT IHR, WAS IST LIEBE UND WAS IST FREUNDSCHAFT , stand mit großen Druckbuchstaben ganz oben, die Antworten darunter waren sorgfältig nummeriert. WAS HALTET IHR VON DER BESITZERIN DIESES ALBUMS war die letzte Rubrik, und ihre Mitschülerinnen hatten geantwortet, sie sei eine noble, intelligente und feine Person.
    Nachdem sie beim Abitur durchgefallen war, war sie die Erste in unserer Straße, die heiratete. Jetzt hatte sie zwei lange glänzende Morgenröcke, ihr Gesicht war in die Breite gegangen und ihre Hüften ebenso. Die Dauerwelle ließ sie sich immer seltener machen, stattdessen ging sie ständig auf dem Hof hin und her, die Haare auf Papierwickeln eingedreht unter einem geblümten Kopftuch.
    Â»So ist das halt, wenn man einen Mann hat«, sagte sie zu mir und sah mich gönnerhaft an.
    Nach der Geburt ging ich sie und ihren Sohn besuchen, ich

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