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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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tränenüberglänzten Gesichtern und verträumten Augen ältere Paare und Gymnasiastenpärchen sowie unzählige Grundschüler strömten, die ihre Uniformen an den gekalkten Wänden fleckig gescheuert hatten. Flutartig überschwemmten sie die Promenade.
    So strebten die beiden Züge den beiden Enden der Straße zu: Der eine bewegte sich an den langen, an diesem Sonntagabend verstörend leeren Tischen des Marktes entlang zwischen weggeworfenem Papier, welken Salatblättern und Lachen, die sich in den Löchern des Gehsteigs angesammelt hatten und eingefärbt waren von dem tiefen Blau der Leuchtreklame über dem Universalkonsum, dem ersten neuen Gebäude der Stadt. Die Köpfe des anderen Zugs schrammten lautlos am runden Himmelsgewölbe entlang, an dem die pathetischen Farben des Sonnenuntergangs unmerklich ausblichen und in den unpersönlichen Farben des Abends aufgingen.
    Es war die Zeit, zu der ich gewöhnlich zu Hause sein musste. An diesem Abend hätte ich mich ohne weiteres verspäten können, denn die Hochzeit ging die ganze Nacht, aber Mihai war nicht da, und so musste ich die Versöhnung in Gedanken noch einen Tag aufschieben. Aus einer Gruppe von Mädchen löste sich Jeni und kam auf mich zu.
    Â»Mihai war heute Abend gar nicht da«, raunte sie. »Komm, machen wir noch eine Tour …«
    Â»Kennst du den?«, fragte ich sie und kniff sie in den Arm, wobei ich auf einen der Jungs vor der Buchhandlung zeigte. Ich warf noch einen verstohlenen Blick zurück, dann hörte ich sie rufen: »Hahaaa …« – aber wir waren schon an ihnen vorbei.
    Â»Welchen? Den langen? Nein«, sagte Jeni. »Oder doch … Ist der nicht längst durch? Ich meine, auch mit der Fakultät. Was sucht der denn noch hier, die Studenten sind doch auch schon weg …«
    Â»Er war Schüler bei meinem Onkel in der letzten Klasse … Weißt du denn nicht mehr, es hieß immer, der ist großartig?«
    Jeni schüttelte den Kopf, sie hatte keine Ahnung.
    Â»Der war auch einmal bei uns, Bücher ausleihen vom Onkel, das ist viele Jahre her …«
    Er hat mich wohl nicht erkannt, dachte ich verstimmt. Dabei hatte er uns gar nicht gesehen. Er lachte über etwas anderes, den Kopf zur Seite geneigt. Aus dem offenen Hemdkragen ragte sein langer Hals mit dem stark hervortretenden Adamsapfel, der unter der Haut auf und ab hüpfte. Er wirkte gehemmt, wie damals, als er bei uns war und auf der Schwelle verharrte, solange der Onkel in der Bibliothek nach den Büchern suchte, von einem Fuß auf den anderen trat und alle Fragen nur mit ja oder nein beantwortete. Später zeigte mir der Onkel Zeitschriftenartikel unter seinem Namen, die er ihm mit den Büchern geschickt hatte, und sagte, sie seien sehr interessant. Bei der Gelegenheit hatte ich auch gesehen, wie er hieß, aber ich erinnerte mich nicht mehr recht daran.
    Â»Petre«, murmelte ich. »Petre Arcan oder so …«
    Â»Wer?«, fragte Jeni. »Ach ja, der …«
    Vielleicht sieht er mich ja, wenn wir zurückkommen, sagte ich mir. Ich wusste nicht, wieso, aber ich hatte ihm immer mit derselben Neugier nachgeschaut. Allerdings standen dann an dem Ladeneingang, wo ich ihn gesehen hatte, alle anderen Jungs, außer ihm.
    Â»Worauf warten wir noch? «, fauchte ich Jeni an. »Siehst du denn nicht, dass alle weg sind?«
    Â»Na klar, wenn Mihai nicht da ist, hast du keine Lust mehr …«, erwiderte sie.
    Sie war sauer, denn beim Muncitorul hatte sie Mircea mit zwei Mädchen von der Gesamtschule gesehen. Die Reihen der Spaziergänger hatten sich gelichtet, wir kamen jetzt schneller an ihnen vorbei. Im Schaufenster des Fotostudios sprangen mir noch einmal die vergilbten Fotos ins Auge. Zwischen den weißen Kerzen, mit der gestärkten Schärpe über der Brust und dem mit breitem Strasssaum besetzten Schleier saßen Braut und Bräutigam, die Köpfe bis auf einen Zentimeter Abstand einander zugeneigt. Die nachkolorierten Lippen waren in einem bemühten Lächeln erstarrt, und die blicklosen Augen starrten auf die öde Straße.
    Â»Los, schneller«, sagte Jeni plötzlich. »Wir sind wirklich spät dran …«
    Und beide rannten wir los.

Kapitel VII
    I ch war so überzeugt, dass wir uns versöhnen würden, dass jeder Morgen die Farbe der Erwartung annahm. Ich sammelte aus dem Dunkel

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