Der gleiche Weg an jedem Tag
des Korsos verstohlene Blicke und Gesten, deren Sinn nur ich zu begreifen vermochte. Abends fiel all das in der alten Leere in sich zusammen, aber ich bewahrte es geduldig bis zu dem Tag, der einmal kommen musste. Es fällt ihm schwer, den ersten Schritt zu tun, sagte ich mir, und selbst wenn er es wollte, weià er wohl kaum, wie und wo. Allerdings verknäulten sich die Erwartungen, ich verhedderte mich darin und spürte, wie ich hängen blieb. Ich bildete mir ein, es sei immer noch alles so, wie ich glaubte, aber die klar umrissene Gewissheit der Dinge verschwamm in der Unruhe. Untergründig war ich es leid, vergeblich zu warten, und so fuhr ich ins Ferienarbeitslager.
*
Ich liege auf dem Bauch auf einem der eisernen Stockbetten mit Trenngittern, die bis zum staubigen HolzfuÃboden reichen. Es ist dunkel, möglicherweise ist niemand sonst da oder nur ein paar dicke Mädchen mit Pickeln auf der Stirn und im Gesicht, die nicht in den Spiegel schauen, weil sie unglücklich sind mit ihrem Aussehen. Deshalb gehen sie nicht tanzen, auch an diesem Abend nicht. Und im Lager wird ständig getanzt, man hört die Stimmen, die Schritte, das Stampfen und das schrille Lachen der Mädchen und die durchdringende Stimme irgendeines Jungen: »Komm schon, mach den Kasten lauter, was ist los?«
DrauÃen ist es wahrscheinlich immer gleich dunkel, ob ich nun da bin oder nicht, die Gaslaterne auf der Brüstung der Veranda flackert vor sich hin; wenn die vom Wind angefachte Flamme aus dem Lampenglas herausleckt, geht jemand hin und dreht sie herunter. Wenn es dann noch dunkler wird, weià ich gar nicht mehr, was er tut, ich höre sein brutales Lachen nicht mehr, vielleicht sind die beiden die Treppe hinuntergegangen und spazieren durch den Hof des ehemaligen Gutshauses. Ich aber kann den Gedanken nicht mehr ertragen, dass die beiden, Mihai und Mariela, spazieren gehen, ich liege auf dem Bauch und bearbeite mit den Händen das lange, viel zu harte Kissen, in dem ich meinen Kopf nicht versenken kann. Ich versuche meinen Hals und meine Wangen darin zu schmiegen, suche nach dem wohlbekannten Gefühl vor dem Einschlafen, Hals und Gesicht in das Kissen gebettet, auf dem ich seit sechzehn Jahren schlafe. Es ist vielleicht das Angenehmste in meinem bisherigen Leben, sage ich mir, und wenn ichâs genau überlege, das Einzige, das mir niemals verloren gehen kann. Und ohne es zu merken, suche ich wieder nach meinem Kissen, aber da ist nur das fremde, voller Watteknubbel, und ich hätte begreifen und aufgeben müssen, aber wieder fällt mir ein, wie Mihai damals zu mir kam, dort, an der hellsten Stelle der Veranda.
»Komm tanzen«, sagte er und tanzte mit der Zigarette im Mund, und die junge Englischlehrerin tat, als sähe sie nichts.
Damals hatte ich zum ersten Mal begriffen, dass das mit uns nichts mehr werden würde, niemals, und dass ich länger als ein Jahr vergeblich gewartet hatte.
Ich stehe vom Bett auf und taste im Dunkeln die schweren dicken Decken ab, schnappe mir ein anderes Kissen und tappe zurück, da stockt mir plötzlich der Atem. Ich habe mir den Knöchel gestoÃen und spüre, wie der Schmerz immer heftiger wird und in mir hinaufkriecht, dass ich stöhnen oder weinen möchte. Aber ich halte ihn aus, ich spüre, wie ich ihn aushalte, Sekunde für Sekunde, bis er nachlässt. Dann werfe ich mich mit dem neuen Kissen aufs Bett, aber dieses ist schrecklich weich, zu wenig Watte drin, ich stopfe das andere zwischen Bett und Wand, taste dabei mit heiÃen Händen den kalten Putz ab, und das tut gut ⦠Da taucht wieder die Veranda auf, ich saà auf der Brüstung, lieà die Beine baumeln und rauchte die Zigarette, um die ich ihn gebeten hatte, als er mich zurückbrachte, ich ärgere mich, weil ich gerne ins Kissen gebissen hätte â wie ich es gelesen habe ⦠Dann drehe ich mich aber wieder auf den Bauch und knäule die ganze Watte in dem halben Polster zusammen, das leise knarrt, der Bezug ist fadenscheinig, aber ich spüre, dass es hart ist, ärgerlich hart, auÃerdem schmerzt mein Ohr, wahrscheinlich habe ich es gequetscht ⦠Jetzt weià ich, dass ich leide, ich spüre meinen ganzen bäuchlings gestreckten Körper, er tut einfach nur weh, dabei weià ich gar nicht, wieso ⦠Und er tut so gut, dieser ständige Druck ⦠Da ist wieder das kindliche Gesicht von Mariela, ihre
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