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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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legen und auf dem Bauch daliegen, das Kissen in den Armen, allein sein und mir vielleicht nie wieder etwas so heftig wünschen.
    *
    Natürlich hatte ich gar nichts mehr zu erwarten. Als hätte ich mich verspätet und wäre dadurch endgültig zur Abwesenden geworden. Es war viel schlimmer, als ich mir hätte vorstellen können, in all meinem Warten hatte es immer schon die Furcht vor dem Versagen gegeben, allerdings war sie so klein gewesen, dass ich sie nie bemerkt hatte. Jetzt aber, da ich alles klar vor Augen hatte, schien es mir fast, als hätte ich es geahnt. Ich setzte Worte, Blicke, Gesten anders in Zusammenhang, und dabei wurde in der Tat alles ganz deutlich, wie hatte ich nur so blind sein können, fragte ich mich, einen Augenblick lang hasste ich mich ganz heftig, dann überkam mich eine Demut, an der ich fast erstickte. Das passierte meistens am Morgen auf dem Traktoranhänger, mit dem wir aufs Feld fuhren. Wir setzten uns auf die parallel angeordneten Bänke, die bei jeder Unebenheit wackelten, was Schreie und Pfiffe auslöste; wer keinen Platz kriegte, setzte sich hinten auf die Ladefläche, irgendwie war man da besser dran, man musste wenigstens keinen Staub schlucken. Ich saß neben Jeni und stützte mich an der in großen rostigen Haken hängenden Seitenplanke ab; die Erinnerung an mein Versagen verdüsterte mir die grünen und gelben Weiten, die an uns vorbeizogen, und der seidige Staub wehte in runden, warmen Schwaden. Wenn wir ausstiegen, sah ich die anderen an und konnte sie kaum erkennen: Mit den grau verstaubten Haaren und den schmutzstarrenden Gesichtszügen kamen sie mir vor, als sähe ich sie zum ersten Mal.
    Der Anblick war mir zuwider, ich verscheuchte den Gedanken, dass sie in zwanzig Jahren wirklich so aussehen würden. Bestimmt sehe ich auch so aus, dachte ich und wischte mich mit einem säuerlich riechenden, speichelbenetzten Taschentuch ab. Eine Zeitlang gab ich mir Mühe, dass er mich nicht so sah, gab es dann aber, aus Gewöhnung oder Resignation, auf.
    Noch etwas anderes tat ich unterwegs auf dem Hänger, während ich unbeweglich neben Jeni saß und darauf achtete, dass mein Lachen und Lächeln mit dem der anderen übereinstimmte. Anfangs fiel es mir sehr schwer, doch an den letzten Tagen gelang es mir perfekt, allerdings bedeutete es mir auch nicht mehr so viel. Ich zwang mich, die beiden genau so selten und so gleichgültig anzusehen wie die anderen, es war, als führte ich mich selbst am Händchen ins Gästezimmer, während jemand in mir nein nein nein schrie und mit ohnmächtiger Wut aufstampfte. Doch ich schleppte mich gnadenlos weiter, und der Gedanke steuerte mich von außen, meine vor dem Sonnenlicht oder vor Überdruss zusammengekniffenen Augen blickten nicht mehr durch. Irgendwann war es dann aber gar nicht mehr der Gedanke, sondern mein riesenhaft gequollenes, über dem unsichtbaren Zucken der Muskeln erstarrtes Gesicht, das kurz vor der Explosion stand. Wie viel Zeit mag vergangen sein, seit ich sie anstarre, dort vorn hinterm Fahrerhaus, wo die verliebten Paare sitzen, denen die gegenseitige Zuneigung eine unbestrittene Überlegenheit verleiht?
    Die einzige Lösung war wohl, sie beiläufig mit dem Blick zu streifen wie all die anderen, vielleicht war das aber nur ein Selbstbetrug meinerseits, den ich gar nicht merkte. Schließlich konnte ich nicht anders, als sie zusammen zu sehen, in der Kantine mit Lehmboden und gekalkten Wänden an den mit billigen Tellern und großen Blechschüsseln gedeckten Tischen, nachmittags bei den Fußballspielen gegen die Dorfjugend oder abends, wenn die Mädchen auf der Veranda zum Tanz zusammenkamen, mit getuschten Wimpern und sonnenverbrannten Gesichtern und den guten Kleidern, die noch die Knitterspuren aus dem Koffer trugen. Ich sah, wie sie anfangs in einem fort miteinander lachten, wobei Mihai ihr den Arm um die Schultern legte, dann sah ich sie ebenso oft zusammen, allerdings ohne äußerliche Zeichen der Zärtlichkeit, vereint durch jenes Einverständnis des gefestigten Paares, das einem auf den ersten Blick auffällt. Als mir das bewusst wurde, hatte wohl jemand in mir endgültig begriffen. Allerdings merkte ich nicht, wann das war, die Tage hatten kein Gesicht, und in mir köchelte unablässig die Scham, ich war die ganze Zeit nur darauf aus, sie zu verbergen, und manchmal hörte ich nicht einmal mehr die

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