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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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ich es nicht wahrnehmen, hatte ich es nicht sehnlich genug erwartet und nicht daran geglaubt? Unwillkürlich warf ich einen flüchtigen Blick zu Mutter hinüber.
    Sie sagte nichts mehr, nur unterm Tisch knetete sie ihre geschwollenen, schrundigen Finger. Schweigend wichen wir alle ihrem Blick aus und starrten auf die niedrige Decke und die Vorhänge. Vielleicht hatte in ihrer unbeirrbaren Zuversicht, dass er wiederkommen würde, immer schon der Schrecken vor der schweigenden Leere dieses Augenblicks gesteckt, den sie vorausgeahnt hatte …
    Â»Nun, er wird schon Zeit finden, hier aufzutauchen«, sagte Biţă bemüht fröhlich.
    Und wieder das Schweigen. Beinahe ungeduldig erwartete ich ihre Tränen, die sonst so leicht kamen, aber es erschienen nur rote Flecken in ihrem Gesicht und an ihrem welken Hals. Reicht es aus, dass man etwas sehr stark will, fragte ich mich, und schon schreckt man es ab, ist das denn wirklich so?
    Vorgestern waren wir auf dem Heimweg vom Korso, als Mihai zu uns stieß. »So früh geht ihr?«, fragte er und sagte dann: »Ich begleite euch, ich gehe in dieselbe Richtung.« Er hatte sich zwischen uns gesetzt und redete die ganze Zeit nur mit Jeni; wenn ich mich zu ihm drehte, sah ich seine Augen mit den Lachfalten und den nach dem Bad gezogenen Scheitel, aus dem einzelne Haare emporragten. Da war ich fast sicher, dass er seine Gleichgültigkeit zur Schau trug wie am Anfang, vor vier Jahren, als er mich durch Aura wissen ließ, wir sollten Freunde werden. »Auf Wiedersehen«, sagte er zu Jeni, als wir an der Ecke waren. Und dann lehnte er sich wieder an den von den Regenfällen modrigen, schiefen Zaun unter dem vom Winter geschwärzten Maulbeerbaum. »Ich höre, du hast jetzt einen anderen Freund«, sagte er und stemmte die Hände in die ausgebeulten Manteltaschen. Wie gut kannte ich doch dieses hechelnde Lachen, das die vom heimlichen Rauchen auf dem Klo schon gelb gewordenen Zähne freilegte. »Ich habe ihm gesagt, er soll sich nicht einmischen«, fuhr er fort, »denn wir werden uns schon wieder versöhnen, von allen hast nur du mir etwas bedeutet und Mariela.« Über seine Schultern sah ich in den fremden Hof, wo drei auf dem Wäschedraht vergessene Männerhemden und ein paar Kissenbezüge im Wind flatterten. Weshalb habe ich ja gesagt?, habe ich mich viel später ärgerlich gefragt, vielleicht nur um sein sattsam bekanntes Gesicht mit gelbem Flaum an dem spitzen Kinn, die eingefallenen Wangen und den saugenden Mund wieder zu erleben, dessen Zähne an meinen erstarrten Lippen genagt hatten.
    Â»Ich decke dann den Tisch«, sagte Mutter leise, da klopfte jemand an die Tür.
    Das Klopfen wiederholte sich, und Biţă riss die Tür weit auf. Die Sekretärin von Mutters Dienststelle stand auf der Schwelle, mit schief geknöpftem Mantel und verstörtem Blick.
    Â»Frau Branea«, sagte sie, »entschuldigen Sie bitte, dass ich so hereinplatze, aber wissen Sie, die Niculina ist gestorben …«
    Eine Sekunde lang schwieg sie, dann fuhr sie fort. Ihre Stimme eilte ihr voraus, dann hielt sie wieder inne, aber ihre Augen blieben starr auf das Fenster gerichtet. Das aschgraue Winterlicht war plötzlich gelbstichig geworden, als kündigte sich später Schnee an, es hing schwer zwischen den kahlen Bäumen und den Pfosten der Terrasse, deren Kalkanstrich rissig geworden war.
    Â»Heute Mittag haben sie die Tür aufgebrochen und sie steif mitten im Zimmer gefunden. Sie hat wohl etwas gespürt und jemanden rufen wollen, ist aber nicht mehr dazu gekommen … Hirnschlag, hat der Doktor gesagt, der sie untersucht hat, sie hat wohl noch ein paar Stunden gelebt, aber ohne Bewusstsein … Ach, Frau Branea«, sagte sie und drehte sich zu uns, »wenn Sie gesehen hätten, wie sie aussah, sie haben sie liegen gelassen, bis der Arzt gekommen ist, sie war am Kopf böse verletzt, wahrscheinlich hat sie noch gekämpft. Die eine Nachbarin, die es gemeldet hat, sagte, sie hat sie gegen Tagesanbruch dauernd röcheln gehört, sich aber nichts dabei gedacht, sie hat sich nicht vorstellen können, dass … Sie war in einem furchtbaren Zustand, sie hatte sich, Verzeihung, vollgemacht, und ich musste dann kommen und Sie rufen«, sagte sie zu Mutter.
    Aber Mutter schluchzte jetzt, den Kopf an den Türrahmen gelehnt.
    Â»Weil Sie ja zuständig sind für die

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