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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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Mutter erkennen würde …«
    Â»Ich muss aber vor ihr rein …«, schmollte ich.
    Â»Was hättest du denn gewollt? Dass ich komme und dich im Bett kämme? Halt!«, fuhr sie Nana an. »Nimm die Hand vom Kopf, sonst ist alles im Eimer … Eine bin ich los«, sagte sie dann leiser und fuhr sich mit der Hand über das erhitzte Gesicht. Sie befeuchtete den Kamm in dem Glas mit trübem Wasser.
    Â»Du aber auch … Es würde dir nicht einmal einfallen, dich ein bisschen vorzukämmen, faul wie du bist«, brummte sie. »Still, Kleine«, sagte sie, als ich leise winselte. »Sei bloß still, du hast einen Kopf wie ein Schaf, das in die Disteln geraten ist …«
    Â»Ich komme zu spät«, drängte ich leise mit dem Blick auf die Uhr, die an einer Tischecke tickte. »Was machst du denn?«, fragte ich sie von der Tür aus.
    Â»Ich bin eh erst später dran«, sagte Marilena.
    Mit flinken Händen entledigte sie sich aller Haarnadeln, glättete mit den Handflächen die Haare über den Ohren, griff sich vom Bett den steifen Unterrock mit mehligen Flecken von der eingebügelten Stärke, schmiss ihn auf den Teppich, stieg mit Schuhen an den Füßen hinein und zerrte ihn hoch, wobei sie den hinten abgewetzten Veloursrock schürzte. So zog sie ihn an, zurrte ihn schließlich am Verschluss fest und knautschte, weil er zu weit war, noch zwei Falten hinein.
    Â»Wieso gehst du denn nicht endlich?«, rief sie zu mir herüber.
    Ich stand in der Tür, sah ihr zu und zögerte. Eigentlich hatte ich mich noch gar nicht entschieden, ob ich ihr sagen sollte, sie solle in den Ferien zu mir nach Hause kommen. Dann aber wunderte ich mich, dass Marilena nach nur einem einzigen halbherzigen Einspruch zusagte, als hätte sie damit gerechnet.
    *
    Â»Was war auf deinem Zettel?«, riefen sie durcheinander und drängten mich an die Wand.
    Ich hörte die Frage nicht, meine Wangen glühten, und meine feuchte Hand, die das Heft mit den Zensuren umklammert hielt, zitterte. Nur zwei, drei von den Mädchen blieben in meiner Nähe, die anderen gingen auf dem unbeleuchteten Korridor auf und ab oder rauchten in dem Vorraum zum Aufzug. Die Tür ging quietschend auf, sie rannten wieder herbei, doch heraus trat nur die Assistentin. Auf der Treppe blieb ich kurz stehen, sah mich vorsichtig um, ob auch niemand in der Nähe war, und betrachtete ein paar Sekunden lang meine Note. Ich durchquerte die Eingangshalle, die vom Stimmengewirr summte, stemmte mich mit beiden Händen gegen die schwere Eingangstür und trat hinaus auf die Straße.
    Von Schuhsohlen zertrampelt, war der in der Nacht gefallene Schnee inzwischen staubgrau. Beim Auftreten wurde er mit trockenem Rascheln zur Seite gedrückt wie Sand und gab das holprige schwarze Eis darunter frei. Es herrschte ein merkwürdiges Licht, bleich vernebelt wie der weiße Himmel, langsam, mit verkniffenen Augen, ging ich hindurch, von den Bäumen rieselte Schnee, vielleicht fiel auch frischer, kalt spürte ich ihn in meinem Gesicht. Das Gewusel rundum schien wie in Watte gepackt, der Schnee hatte die Stadt zum Verstummen, er hatte Stille gebracht. In diesem Licht wäre ich gerne mit jemandem an meiner Seite gegangen, ich ertappte mich, dass ich traurig an Barbu dachte. Ich begriff nicht, wieso die Stadt ihrem Schnee über Nacht so zugesetzt hatte. Mein Atem war angesäuert von den Zigaretten, die ich geraucht hatte, bevor ich aufgerufen worden war. Ich ging schnell, an den Haltestellen hatten sich viele Leute angesammelt, vor Kälte trippelten sie auf der Stelle und rieben sich die Hände. Die winterlich kahlen Bäume reckten ihr wirr verschränktes Geäst in den milchigen Himmel, aus den Schornsteinen der Häuser stiegen Rauchschwaden, strichen wie ein gewaltiger Atemhauch über die Zweige und zogen weiter. Das Licht schien den Nebel zu verdichten, der einen mit seinem kalten, stickigen Staubgeruch umfing, ich spürte, wie sich das Schweigen des Winters darin einrollte. Von den Balkonen hingen schlaff und zerknittert die bunten Tücher der Flaggen zum nahen 30. Dezember – dem Tag der Republik. Ein Feiertag mit Fahnen und Reden, den ich nie in Einklang zu bringen vermochte mit meiner merkwürdigen Erinnerung an eine Zeit, da wir sangen: »Es lebe der König«, wie wir es im Kindergarten gelernt hatten. Die Leute eilten an mir vorüber,

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