Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
Vom Netzwerk:
aus den schweren Einkaufsnetzen schauten Fleischpäckchen, Orangen und Zuckertüten hervor. Gleichmütig beneidete ich sie um die Silvesterfeier, die ihnen bevorstand, und verschob meinen Eintritt in ein Leben, das dem ihren gleichen würde, um ein weiteres Jahr. Das gerötete, grau verschattete Gesicht von Barbu stand hinter meinen Lidern, umnebelt vom Misstrauen der Einsamkeit.
    In unserem Zimmer war niemand. Überall lagen Stöße von Heften und Büchern herum. Ihrer Bezüge entkleidet, standen zwei Betten mit gestreiften Matratzen da, die Predescu und Clara waren schon am Vorabend abgereist und hatten ihre Bettwäsche abgegeben. Ich begann meinen Koffer zu packen, rannte auf und ab, um meine verstreuten Siebensachen einzusammeln, und dachte dann und wann verbittert an Barbu. Immer dasselbe Bild, wie er in den fast leeren Lesesaal der Bibliothek kommen würde, wie sein Blick über die Tische schweifen und mich vergeblich suchen würde, wobei er, je länger er vergeblich nach mir spähte, bemüht wäre, das Interesse in seinem Blick zu unterdrücken. Immer dasselbe, dieselbe Tür, die er mit vorsichtiger Hand aufstößt, um keinen Lärm zu machen, und wie seine Augen nur abwesenden Augen begegnen. Morgen wird das sein, sagte ich mir, oder übermorgen oder genauso gut einen Tag später. Meine Abwesenheit gärte in mir, zugleich spürte ich, wie meine Einsamkeit mich ausfüllte. Hin und wieder kam mir der Gedanke, dass vielleicht auch er mich nicht mehr sehen mochte und nicht mehr suchen werde, aber es fiel mir jetzt ganz schwer, so etwas zu glauben. Lieber rief ich mir wieder und wieder vor Augen, wie er die Tür öffnete und wie er von der Schwelle aus nach meiner angestammten Ecke am Fenster spähte. Eilig faltete ich die letzten schmutzigen Handtücher zusammen, stopfte sie in den Koffer, dazwischen noch ein Buch, das ich mitnehmen wollte, dann kniete ich ächzend auf dem Deckel und ließ den Verschluss zuschnappen. Ich erfreute mich am Anblick der sich öffnenden Bibliothekstür, des grauen Mantels, der vorne kürzer zu sein scheint, weil Barbu die Brust herausreckt, während er verblüfft auf den leeren Stuhl starrt, wo er mich nicht sieht.

Kapitel XII
    D er Bahnhof wurde renoviert, gelb schimmerte der noch feuchte Putz zwischen dem rostigen Gestänge des Gerüsts. Langsam ging ich hinunter, den Koffer in der Hand. Im Gewimmel des Bahnsteigs schoben Frauen, frisch frisiert für die Reise nach Bukarest, hektisch Kinder vor sich her, denen sie den Schal vor den Mund gebunden hatten. Aus der offenen Tür der Bahnhofskneipe drang der saure Weindunst, den ich seit jeher kannte. Bauern in steifem grauem Filz verharrten reglos in Erwartung des Vorortzugs neben den grünen Holzbänken, die mit Körben und Plastiksäcken vollgestellt waren. Nur aus einem der Gepäckstücke reckten zwei Gänse ihre langen, beweglichen weißen Hälse, wie abgeschnitten vom Reißverschluss.
    Ich hatte sie gesehen, bevor sie mich entdeckten. Ich wusste nicht, wieso mir ein warmes Mitgefühl in die Kehle stieg, als ich auf den niedrigen schmiedeeisernen Zaun zurannte, von dem sie sich nicht rührten aus Angst, sie könnten mich verpassen. Mutter hörte mich rufen und kam auf mich zu, mit dem entschlossenen Schritt einer Frau, die seit vielen Jahren allein lebt. Sie hat schon ein bisschen zugenommen, sagte ich mir, während wir uns näher kamen und sie mich schließlich in die Arme nahm. Ihre Brust war voller geworden und wölbte sich unter dem flaumig grauen Mantel mit abgewetzten Taschen, aber ihre dunkel geränderten Augen unter den vor Schlaflosigkeit schweren Lidern waren stumpf und ihre Wimpern von den hängenden Brauen verdeckt. Den sollte er wenigstens kürzen lassen, dachte ich irgendwie peinlich berührt, als ich den überlangen Mantel von Onkel Ion sah. Unter dem von der Nässe aus der Form geratenen Hut hing die erdfarbene Gesichtshaut schlaff bis zu den breiten Kiefern herab. Er kam mir mit einem verlegenen, fast schüchternen Lächeln entgegen.
    Â»Wir hatten gehofft, wir könnten dich in der neuen Wohnung empfangen«, sagte er und bückte sich nach meinem Koffer. »Wieso bleibst du stehen? … Nein, umgezogen sind wir schon, sonst hätte der Pârvulescu uns mit unseren ganzen Habseligkeiten auf die Straße gesetzt, aber die Wohnung der Vormieter ist nicht rechtzeitig

Weitere Kostenlose Bücher