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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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floss und ich mit.
    *
    Â»Wer von euch ist LetiÅ£ia Branea?«
    Etwas Schlimmes war im Gange. Ich murrte und zog mir die stachlige blaue Decke wieder über den Kopf, aber das Licht hatte das Dunkel aus meinen Augen verscheucht. Ich zwang mich, sie zu öffnen, dann hörte ich wieder den Satz, der vorhin in meinen Schlaf gedrungen war.
    Â»Wer von euch ist LetiÅ£ia Branea? Da hat jemand angerufen, sie soll sofort nach Hause fahren …«
    Verstört richtete ich mich auf. Auf der Türschwelle stand der Pförtner. Ich begegnete seinem unsicheren Blick.
    Â»Da ist jemand schwer krank – ein Onkel … Ich habe nicht alles verstanden …«
    Vor lauter Schweigen hörte ich meine Kleider rascheln, während ich mich anzog, die Mädchen hatten die Köpfe über den Kissen aufgerichtet. Die Luft, durch die ich ging, war eine andere als die ihre, das Zimmer schien mir in Watte gepackt, und mein Blut sirrte vor Angst. Wer war das bloß, die sich da hastig bewegte, die Sachen packte und das Geld für die Reise abzählte? Ich verharrte weiter unter ihren erleichterten und mitleidigen Blicken, hob dann mein verändertes Gesicht und schlüpfte schlafwandlerisch in die mir zugedachte Rolle mit der Ahnung oder dem Anfang eines Schmerzes, dem ich beim Wachsen zuschaute und den zu tragen ich bereit war, so wie ich es gelesen und im Kino gesehen hatte.
    Ich trat hinaus auf den öden Boulevard. Meine Schritte auf dem Pflaster hallten weithin. Nur die Ampeln und die Blinker der Autos leuchteten als grüne und rote Flecken auf. Wenn sie zur Post gegangen sind, um anzurufen, dann ist noch nichts passiert, sagte ich mir. Für den Augenblick überzeugte mich der Gedanke, gleich darauf aber führte ich die Hand zum Mund und biss ungeduldig auf meine Fingerkuppen. Die allzu frühe Stunde des schwarzen Morgens stieg kalt in mir auf, ich kannte sie schon lange, diese Stunde, ihren feuchten, frostigen Geruch. An einem solchen Morgen hatte mich Mutter, schluchzend vor Müdigkeit und Kälte, zu Onkel Ion gebracht, nachdem bei uns eine Haussuchung durchgeführt worden war. Es war die Stunde der erwachsenen Leute, die früh aufbrechen, weil sie es weit haben bis zur Arbeit, auch jetzt sah ich sie fröstelnd mit hochgeschlagenen Kragen und ausdruckslosen Gesichtern, in denen noch der Schlaf lag. Mir schien, als wäre ich seither gar nicht mehr gewachsen, ich fürchtete mich noch immer vor der Dunkelheit, durch die ich tappte. Im weißen Licht der Straßenlaternen bildete das Astwerk mit den gleißenden Wassertropfen konzentrische Kreise. Ich eilte zwischen den morgendlich vereinzelten Menschen hindurch, wie damals hatte ich Angst vor ihrem wirklichen Leben, das sie jede Nacht von neuem begannen. Begann etwas auch für mich? Weiter konnte ich nicht denken, ich ging an ihnen vorbei, und auch sie wussten nicht, dass über meinem Kopf das Zeichen des Unerhörten schwebte, das mich in der kalten Luft schaudern ließ.
    In dem leeren Gang des Eisenbahnwagens stand nur der Schaffner mit seiner in Hüfthöhe hängenden Tasche vor der Klotür. Durchgeschüttelt von dem schlingernden Zug, trat ich ins Abteil zurück. Auf dem Platz neben mir wimmerte ein wachgerütteltes Kind, die Mutter drückte seinen hochschnellenden Kopf immer wieder zurück ins Kissen. Im rötlichen Licht der Deckenlampe ächzten zwei Pendler mit schmutziggrauen wattierten Arbeitsjacken im Schlaf und scharrten ab und zu mit den schweren, dreckverkrusteten Stiefeln. Die Luft war stickig heiß und stank nach altem Schweiß und Zwiebeln. Kam daher der Brechreiz? Ich stakste über ihre gereckten Beine ans Fenster und lüftete eine Ecke des ausgefransten schmutzigbraunen Vorhangs. Hinter der beschlagenen Scheibe entspann sich grau der erste Morgen, vor dem ich Angst hatte. Jetzt ist es noch gut, noch ist es gut, solange ich nichts weiß, sagte ich mir und schlug die Hände vors Gesicht. Ich hätte mir gewünscht, dass diese Reise ewig dauerte, aber ich stand wieder auf und ging auf dem öden Gang auf und ab und zählte die verbleibenden Haltestellen an den verkrampften Fingern ab.
    Der Bahnhof dröhnte mir mit seinem Lärm unterdrückter Stimmen und pfeifender oder zischender Züge in den Ohren. Als wäre ich nie von hier weggefahren, stieg ich wieder die hohen Stufen hinab, wie ich sie zwei Wochen zuvor hinabgestiegen war. Auf dem schmierigen

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