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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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Boden Kippen, Papierschnipsel und Fahrkarten. Es stank nach billigen Zigaretten und nach Kälte, im scharfen Neonlicht hatten die übernächtigten Männer fettig glänzende Kanten in den bartverschatteten Gesichtern. Doch da stand niemand an dem niedrigen eisernen Zaun, allein ging ich durch die Luft, die bläulich den Morgen ankündigte. Ein blutrotes, von Wolken durchsetztes Band hing über den neuen Blocks, auf die ich zueilte. Zum ersten Mal würde ich eine Wohnung betreten, die jetzt ausschließlich unsere war, denn in der Zwischenzeit waren auch die Mitbewohner ausgezogen. Betreten würde ich sie, aber was würde ich vorfinden? Fast rannte ich die öde Straße entlang. Das blutrote Band wurde immer breiter, während ich rannte, noch wusste ich nichts von der Angst und wusste auch nicht, ob ich welche hatte.
    Von unten sah ich, dass unser Fenster beleuchtet war, ein unerwartetes Licht an diesem Morgen, der grau und kühl über den Häusern hing. Das warme gelbe Licht beruhigte mich sofort. Wenn Licht brennt, ist nichts passiert, sagte ich mir, nahm je zwei oder drei Stufen auf einmal, und die Stille des Blocks hallte in mir nach. In den Augen trug ich das beruhigende gelbe Licht, das ich von unten gesehen hatte, trug es so bis vor die Tür, in deren Schloss ich den Schlüssel steckte, und bis auf die Schwelle, dann erst schrie ich. Ich schrie und hielt auch gleich inne, als ich mich schreien gehört hatte, und vergrub mein Gesicht in den Händen.
    Â»Nein …«, hatte ich geschrien. »Das kann nicht sein!«
    Denn es konnte nicht sein, er konnte nicht auf unserem Esszimmertisch liegen, ausgestreckt am falschen Ort, starr und reglos, aber dennoch er, nein, er konnte nicht dort liegen wie ein Toter … Nach jedem Schrei, den ich von mir vernahm, erwartete ich, dass alles vorbei wäre, er aber blieb an diesem unpassenden Ort auf dem Tisch, den man ausgezogen hatte wie für Gäste.
    Â»Schau«, rief Mutter und stürmte mir entgegen, als hätte sie nur auf mein Kommen gewartet, »ich war die Letzte, die ihm noch sagen konnte, dass es nicht wahr ist. Schau«, schrie sie und streckte die Hände, die nicht verstehen wollten, nach dem Tisch aus.
    Ihr Gesicht erkannte ich auch nicht wieder, das Gesicht jenes Kindes, das sie gewesen war und das ich nicht kennen konnte, hatte sich über die Falten unter den offenen Haarsträhnen gelegt.
    Ich stand neben ihm, ungläubig und verständnislos, der gute Schulanzug breitete sich weich über den starren Körper. Ich wusste, dass das kein Toter war, dass er es war, deshalb neigte ich mich, um seine kalte Stirn und das weiche Fleisch seiner Wangen mit den vom Tod geweiteten Poren zu berühren. Nur die auf der Brust abgelegten Hände mit den großen grauen Haarbüscheln und die Fingernägel wurden von Stunde zu Stunde blauer, auch das Gesicht wirkte ermüdet von der Reglosigkeit. Das Fenster schimmerte von der gnadenlos weißen Sonne oder vielleicht von den Tränen, und seine Schülerinnen kamen eine nach der anderen, blieben auf der Schwelle stehen oder traten näher und bekreuzigten sich.
    Â»Die Mädchen haben dir Blumen gebracht, Ion«, rief Mutter und schluchzte dermaßen auf, dass man sie nach nebenan geleitete.
    Sie traten näher, um ihn besser zu sehen, und mich packte das Mitleid vor der peinlichen Ohnmacht des Toten, der er jetzt blieb mit einem Lächeln, das immer schmaler wurde in dem scharfen Geruch der Freesien und der brennenden Kerzen. Was sucht ihr bei uns, verschwindet, wollte ich ihnen sagen und ihnen das Zimmer aus den Augen reißen, in dem doch unsere Gewohnheiten zu Hause waren, in dem seine ruhigen, all die Jahre eingeübten Bewegungen sich unsichtbar zwischen die Dinge gelegt hatten. Aber sein anderes Leben, das ich nicht gekannt und nie kennenzulernen versucht hatte, das blieb für immer das ihre, erst jetzt ging mir das auf. Ich erinnerte mich an das eine Mal, als er mich in seinen Unterricht mitgenommen hatte, ich saß in der letzten Bank. Er ging durch die Reihen und lachte irgendwie anders, als ich es von daheim kannte. Er hatte nicht den schleppenden, gebeugten Gang, und der einen oder anderen wandte er sich mit einer Vertraulichkeit zu, von der ich geglaubt hatte, er hätte sie nur für mich übrig. Ohne zu wissen, weshalb, hatte ich ihn damals verärgert und vorwurfsvoll beobachtet und darauf gewartet, dass es

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