Der gleiche Weg an jedem Tag
läutete, und dann darauf, dass die alle, die sich da um sein Katheder geschart hatten, verschwanden. Als er endlich zum Kleiderhaken ging, um seinen Mantel zu holen, stand auch ich auf und warf denen einen triumphierenden Blick über die Schulter zu.
Jetzt aber blieb er da liegen, ohnmächtig und fremd, zwischen mir und ihnen. Sanft erschlaffte sein Lächeln in der Wärme der Sonne und des siedenden Heizkörpers. Die abgeblendeten Spiegel lauerten unter Handtüchern, und die Möbel drängten sich wie vor einem weiteren Umzug. Vielleicht ist es nur das, sagte ich mir, schloss die Augen und wartete, dass jemand, der dafür sorgte, dass mir nichts passiert, die Zeit umkehrte, er aber vergrub sich weiter unter erschlaffenden Freesien und Hyazinthen, und rundum tropfte unablässig das Wachs.
»Ihr müsst ihn mit Formalin behandeln«, flüsterte mir jemand zu.
Im Nebenzimmer erzählte Mutter schluchzend von neuem, wie es gewesen war, wie sie in die Küche gegangen war, um die Flamme unter der Teekanne abzudrehen, und wie sie ihn, als sie zurückkam, röchelnd vorgefunden hatte. Er war über dem Tisch mit den Klassenarbeiten zusammengesunken, die er korrigierte, um sie am nächsten Morgen zu verteilen. Hier hielt sie regelmäÃig inne: »Wieso habe ich nichts gemerkt«, stieà sie hervor, »wieso habe ich nichts gemerkt â¦Â«
Sie erzählte es immer gleich, es kamen immer wieder dieselben Worte, als suchte sie jedes Mal nach etwas, das sie übersehen hatte. Sie gelangte wieder dorthin, wo sie innehielt, denn hier wurde das Ganze endgültig, und dann begann sie zu weinen, ein hässlich schluchzendes Kinderweinen, das ihr Gesicht verzerrte.
»Ihr müsst ihn mit Formalin behandeln, das geht so nicht mehr«, wiederholte jemand an meinem Ohr.
Ich wollte es nicht wahrhaben, nickte aber bereitwillig, unterdrückte meinen Weinkrampf und wischte im Gehen die farblose Flüssigkeit ab, die zwischen seinen immer schmaleren Lippen hervorzutreten begann.
*
War ich in diesen Tagen zum Schlafen gekommen? Ich wusste es nicht mehr. Meine Schultern bebten wie von Schüttelfrost. Ich war ständig auf dem Sprung, wegen der Sterbeurkunde, dann, um einen zu suchen, der ihn mit Formalin behandelte, schlieÃlich auf dem Friedhof, um einen Platz für ihn auszusuchen. Die Luft auf der StraÃe roch feucht, an den Zäunen lagen noch schmutzige Schneereste mit rissiger schwarzer Kruste, über allem aber lag eine dünne Schicht Staub, der zu Morast geworden war. In den langen Pfützen leuchtete etwas Blaues. Verstört sah ich nach oben, ja, der weiÃe Himmel hatte Risse bekommen, der seit fast einem Monat ständig weiÃe Himmel riss auf und lieà das Blau hervorblitzen. Die Tür zu unserer Wohnung stand sperrangelweit offen, Leute, die ich kaum kannte, traten ein und gingen wieder, die Hüte in der Hand. Zwei Kinder, die in der Nase bohrten, lugten von der Schwelle aus in unser Esszimmer. An der Bibliothek des Onkels vor den zerfledderten Buchrücken und gestapelten Aktenordnern lehnte ein neues Holzkreuz. Hier stand sein Name, der auf keinem der Bücher zu lesen war, feierlich und fremd: INRI ION SILIÅTEANU . Die warme Luft roch stechend nach Formalin und Freesien. An den Tischbeinen raschelten die Papierbänder der Kränze.
»Passt auf, dass die nicht Feuer fangen, Gott bewahre«, sagte jemand und zog sie von den gekrümmt brennenden Kerzen weg.
Ich saà neben ihm und verdeckte dann und wann mein tränenüberströmtes Gesicht mit den Händen. Ich wusste sehr wohl, wie jede Geste meines Schmerzes bei denen ankam, die eintraten und gingen, es war, als freute sich mein Schmerz, dass er von so vielen Zeugen umgeben war. Dennoch konnte ich ihn nicht so den Blicken der anderen preisgeben, die ihn mitschleppten und zur Erinnerung machten, so dass die Jahre des endgültigen Alters zu einem einzigen Tag zusammenschnurrten. Seine Ohren waren von einem durchsichtigen wächsernen WeiÃ, das Fleisch des Gesichts hing herab, grau von dem Bart, der weiter wuchs. Zwischen den nunmehr ohne jedes Lächeln verkniffenen Lippen rann weiter jene eisige Flüssigkeit hervor, die weichen Kleider verhüllten seine fremde Starre. Immer weiter entfernte auch ich mich, da ich den steifen, nach Formalin und nach Freesien und nach Wachs riechenden Schlaf in mir spürte. Den Schlaf, den auch ich in mir trug, der noch alles
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