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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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sofort … Er hat es gekriegt, nachdem er einen anderen Direktor eingesetzt hat, vorher aber hat er Ions Akte durchforstet und die Sitzung zum Parteiausschluss veranstaltet.«
    Ab da müssen die Jahre sich gleichgeblieben sein, die hoffnungslose Krankheit von Ştefania, die auf dem Schwarzmarkt gekauften Medikamente, die neue Schule, die in einem Außenbezirk gegründet wurde und in der er unterrichten durfte, nachdem Baciu in die Hauptstadt gewechselt hatte, und seine Arbeiten, die immer revisionsbedürftiger wurden, je länger er sie zurückhielt.
    Â»Damals ist immerhin einer wohl zu seiner Verteidigung aufgestanden, der hatte aber gleich eine Abmahnung weg, und dann haben sie alle geschwiegen. Nach der Sitzung sind etliche zu ihm gekommen und haben sich entschuldigt, er solle sie doch verstehen … Es passierte so viel Schlimmes überall, und die Sitzung war vorbereitet, das hat man ganz klar gesehen, vor allem als Baciu geredet hat, die ganze Stadt weiß, hat er gebrüllt, wie er andere ausgebeutet hat … Und da ist der Ion im Saal aufgestanden und zum Tisch des Präsidiums gegangen, schwarz im Gesicht und von Krämpfen geschüttelt, mit diesen Händen?, hat er gefragt und hat sie ihnen entgegengehalten, mit diesen Händen?«
    Groß und fleckig waren sie, die Haut war auch nach all den Jahren immer noch gegerbt, vielleicht aus der Zeit, als er gerackert hatte, um sich selbst über Wasser zu halten, vielleicht aus der Zeit danach, als er während der Krise die Stelle verloren und jede Arbeit angenommen hatte, ehe er schließlich einen Posten als Nachtkorrektor ergatterte. Seine ungeschlachten Finger lösten die Knoten, die seine Zeitschriftensammlungen, seine zerfledderten Bücher und vergilbten Abhandlungen zusammenhielten, all das, was die Bombenangriffe und die Umzüge überstanden hatte und was er ohne Angst hatte behalten können, nachdem er die ausgemusterten Schriften in einem löchrigen Waschkessel im Hof verbrannt hatte. Ausgemustert , was für ein lächerliches Wort, dachte ich damals, als ich neben dem flammenden und rauchenden Kessel hockte, in dem Mutter mit einem Stock die verkohlten Umschläge um und um wendete, damit sie ganz verbrannten.
    Â»Die ganze Schulbibliothek haben sie gemustert«, hatte Onkel Ion am Abend zuvor gesagt, als er aus der an den Ecken bestoßenen schwarzen Aktentasche die Bücher holte, in denen ich blätterte, enttäuscht, dass ich keine Bilder darin fand. »Nach Titeln und nach Fotos und nach allem Möglichen haben sie ausgemustert, diese hier habe ich gerettet …«
    Mutter hatte nur scheel geguckt und sie links neben der Bibliothek gestapelt, wo sie in den letzten Jahren den Schmutzeimer hinstellte.
    Ich glaube, Onkel Ion hat nicht wahrhaben wollen, dass er nie mehr etwas würde veröffentlichen können – das glaube ich jetzt. Er hat gedacht, er müsste nur abwarten, dass seine Sünden in Vergessenheit geraten, dass ich größer werde, es könnte sich nur um Tage oder Monate handeln, dass die Dinge sich änderten, wer weiß, und er wieder Ruhe und Zeit für sich selbst hätte. Selbst Jahre schienen irgendwann nicht mehr zu zählen, er wartete einfach ab. So habe auch ich ihn dann erlebt, als ich größer wurde, wie er am Tisch im Schlafzimmer seine Zettel ordnete und sie behutsam in vergilbte Umschläge steckte, wobei er mechanisch mit dem Fuß wippte und gedankenverloren an seiner Zigarette zog. In den Winternächten hörte ich, wie er leise aufstand und sich am Tisch entlang tastete auf der Suche nach dem Eimer, nein, dort ist er nicht, hätte ich ihm zurufen wollen, aber ich schwieg und vergrub mein Gesicht im Kissen, dann hörte ich zähneknirschend das Plätschern des Urins. Wenn es dann aber Frühling wurde, ging er hinaus, die verblichene Baskenmütze im Nacken, wobei er das kranke Bein nachschleppte.
    Â»Das war vielleicht ein Mond heute Nacht!«, sagte er morgens lächelnd.
    Einmal blieb ich lange auf und las in der Sommerküche fürs Abitur. Als ich fertig war und hinausging, trat auch er auf den Hof. Meine Augen brannten von der stechenden Hitze der Gasflamme, so dass ich ihn erst spät sah, wie er reglos an dem weißen Pfosten der Veranda lehnte. Es hatte bis eben geregnet, aus den Rinnen tropfte es, und der Birnbaum war in den paar Stunden, die ich ihn nicht gesehen hatte, aufgeblüht.

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