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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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spannte das fertige Stück, um zu sehen, wie viel sie noch zu stricken hatte. »Als hätte ich für so etwas Zeit gehabt … Bevor ich geheiratet habe, musste ich mich irgendwie durchschlagen, die Schule schaffen, Prüfungen ablegen, ich war im Internat … Dann kamst du, und der Krieg …«
    Sie zerrte an dem Wollfaden, der mit einem dumpfen Knall riss, denn er hatte sich um das Tischbein gewickelt. Sie bückte sich, nahm die beiden Enden auf, verknotete sie und sagte dann: »Wo will man denn hin mit einem kleinen Kind in solchen Zeiten … Dich zu Hause lassen hatte ich nicht das Herz … Aber ich war zwei oder drei Mal mit deinem Vater in Sinaia, wo der Alte eine Villa hatte … Einmal auch in Balcic«, fügte sie nach einer Weile hinzu, als wollte sie mich versöhnen.
    Gereizt und verständnislos sah ich sie an und begann meinen Stift zu spitzen. Nein, die Millionenstädte, von denen ich jetzt lernte, deren Wirtschaft oder deren Denkmäler waren ihr längst egal. Sie bedeuteten ihr ebenso wenig wie die Galaxien oder die fünf Erdteile. Wie der Südpol oder die Sahara. Aus dem Vorzimmer hörte man die Pendeluhr schlagen, und sie fuhr auf wie von der Tarantel gestochen.
    Â»Ich habe das Abendbrot vergessen«, flüsterte sie, steckte die Stricknadeln in den Wollknäuel, wickelte alles in das gestrickte Teil und legte es aufs Nachtschränkchen. »Wenn du mit deinen Karten fertig bist«, sagte sie verlegen, »komm auch in die Küche …«
    Ich musste dennoch versuchen, sie irgendwie von dort wegzulocken, wenn auch nur für ein paar Tage, das sagten alle. Mit Ach und Krach überredete ich sie, nach Bukarest zu kommen, damit wir die Feiertage bei Biţă verbrachten.
    *
    Â»Du hast mich hergeschleppt, damit ich still und starr wie eine Mumie warten muss, bis er geruht aufzustehen«, murrte Mutter und machte sich in der Kochnische zu schaffen.
    Das Feldbett, auf dem sie geschlafen hatte, lehnte zusammengeklappt am Kleiderständer.
    Â»Psst, psst«, zischte ich und deutete auf das hell erleuchtete Zimmer.
    Biţă hatte die Rollläden hochgezogen und pfiff im Bad.
    Â»Bist du schon da?«, fragte er und trat plötzlich in die Tür. Sein gestreifter Morgenrock stand offen und ließ die spärlich graubehaarte fleischige Brust sehen.
    Â»Die neue Generation, in die wir so viele Hoffnungen setzen, leidet an Schlaflosigkeit …«
    Verdrossen ging Mutter mit dem Staublappen an ihm vorbei. Biţăs gute Laune kam ihr vor wie ein Sakrileg, ich hätte sie nicht zum Kommen bewegen können, wenn ich sie nicht daran erinnert hätte, wie er an unserem Esszimmertisch geschluchzt hatte, auf dem der Onkel lag. Allerdings war sein Leben hier in keiner Weise vom Schmerz gezeichnet, und ich hatte keine Ahnung, wie die Feindseligkeit auszuräumen war, mit der Mutter ihn betrachtete.
    Â»Er trägt noch nicht mal Trauerflor«, raunte sie mir zu, während sie sein Sakko bürstete, mit dem er morgens aus dem Haus ging.
    Â»Er trägt ihn an dem anderen Sakko, er ist halt allein … Wer sollte ihn ihm auch überall annähen?«
    Â»Die, die ihn dauernd anrufen«, gab sie sofort zurück, hielt sich aber gleich darauf den Mund zu. Auf der Stelle bereute sie, dass sie sich »vergessen« und über solche Dinge mit mir gesprochen hatte.
    Â»Den Kaffee mache ich«, rief Biţă.
    Zwischen den Worten hörte ich das Zischen des Aftershave, und der wohlbekannte Duft drang bis zu uns in die Kochnische.
    Â»Mach ihn, du trinkst ihn ja auch«, antwortete Mutter missmutig und hielt ihm den satzverkrusteten Henkeltopf hin.
    Â»Möchtest du denn keinen?«, fragte er zerstreut und wuschelte mir mit der warmen Hand durch die Haare. »Lass nur, wir tun uns was Gutes, soll sie doch dabeisitzen, mal sehen, ob ihr das gefällt …«
    Â»Also von mir aus kann von nun an …«, ächzte Mutter mit erstickter Stimme, die er nicht hören konnte.
    Er hatte die japanischen Tassen aus der Vitrine auf ein Tablett gestellt und dann eine Schreibtischschublade geöffnet und ein angebrochenes Päckchen Kent auf den Tisch geworfen.
    Â»Die sind ja ganz staubig, wie kannst du die so hinstellen?«, schimpfte Mutter und rannte mit den Tassen ins Bad. Dort moserte sie vernehmlich herum. »Bring sie auch noch auf die Zigaretten, bring sie nur drauf, auch Ion

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