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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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hat seinen Kopf verräuchert …«
    Ich kicherte leise, blinzelte Biţă verschwörerisch zu und schmiegte meine Wange an das rissige Leder des Sessels, in dem ich mich zurückgelehnt hatte. Ich spürte, wie ich darin versank, betäubt von Trägheit und dem Duft des Kaffees. In den langen Lichtstreifen tanzten Staubteilchen flink wie Wimpertierchen. »Er wollte alles Mögliche machen, und schließlich wurde aus allem nichts«, sagte Mutter, wenn sie über Biţă redete. Jetzt aber wäre ich gerne er gewesen, hätte die schmucken silbernen Manschettenknöpfe anlegen und den weichen ausgeschnittenen Pullover über den Kopf streifen mögen, wobei aus dem Halbschatten die mattgoldenen Buchstaben auf den abgegriffenen Ledereinbänden von Büchern herüberschimmerten, die ich irgendwann gelesen hätte.
    Â»Ciao«, rief Biţă uns von der Schwelle zu und warf den weißen ballonseidenen Mantel mit ledernen Knöpfen über die Schulter. »Wenn jemand anruft, sagt ihr, ich sei schon lange weg und um zwei wieder zu Hause …«
    Das würde er nicht sein, denn an keinem der Tage war er zu der Uhrzeit zurück, die er angegeben hatte. In der Kochnische färbte Mutter mit unterdrückter Feindseligkeit Eier, rote, blaue und grüne. Ab und zu hielt sie inne und wischte sich mit dem farbverschmierten Handrücken die Tränen aus dem Gesicht.
    Â»Gehst du noch weg?«, fragte sie mit jener ausdruckslosen Stimme, die gleichgültig klingen sollte, und stellte den Farbtopf zum Kühlen an die Seite.
    Ich traute mich nicht, ihr einen Spaziergang vorzuschlagen, denn selbst für einen Schaufensterbummel hatte sie keine Geduld. Ich bat sie nur, bis zum Wohnheim mitzukommen, wo ich meine Wäsche abholen wollte.
    Sie blieb unten im Gesellschaftsraum, in ihren schwarzen Mantel gehüllt und das selbstgeschneiderte Mützchen tief in die Stirn gezogen. Die Hälfte der Mädchen war nach Hause gefahren, denn Montag war der 1. Mai. In unserem Zimmer traf ich nur Marilena an. Auf meinem Bett lag ein offener schwarzer Holzkoffer, und auf der Ecke saß eine hagere Frau. Über ihrer krausen Dauerwelle flatterte ein durchsichtiges freesienfarbenes Kopftuch, ihre großen Füße in steifen Sandalen, und ihre Hände waren sonnengebräunt. In dem ebenso gebräunten Gesicht hob sich nur der grellrot geschminkte Mund ab.
    Â»Das ist LetiÅ£ia, von der ich dir erzählt habe«, sagte Marilena und zeigte auf mich.
    Ihre Mutter stand auf und drückte mir Küsse auf beide Wangen, wobei sie mir ihre knochigen Hände auf die Schultern legte.
    Â»Bitte, sag doch auch was, vielleicht geht’s ja dann … Wie lange ich schon bettele, dass sie über die Feiertage nach Hause kommt …«
    Marilena schwieg und sah zum Fenster hinaus: Wahrscheinlich hoffte sie, dass Sandu zurückkäme, der seit einer Woche im Ausbildungslager war.
    Â»Ich nehme nur ein paar Sachen aus dem Schrank und bin gleich wieder weg. Mutter wartet unten …«
    Â»Siehst du, an den Feiertagen sind alle bei ihrer Verwandtschaft, man sitzt zusammen, nur du bist hier allein wie der Kuckuck …«
    Als sie aber sah, dass Marilena schweigend ihre Sachen in den Koffer zu packen begann, flüsterte sie, als könnte jedes laute Wort die Tochter umstimmen: »Wir kommen mit hinunter …« Sie setzte sich neben Mutter an das Glastischchen.
    Â»Sie haben Schweres durchgemacht, liebe Frau«, sagte sie und legte ihr die knochige Hand auf die Schulter. »Die Tochter hat mir von dem Unglück erzählt … So ist es halt, wohin man schaut, nur Elend, eins ums andere, auch wir hatten mit meinem Mann ein Unglück, liebe Frau, er hat es an den Augen, und die haben ihn dreimal opiriert … Zuletzt hier in Bukarest, da sind wir zu einem Dokter gekommen, der hat ihn an den Augen genäht …«
    Â»Wie ist das denn gekommen?«, fragte Mutter.
    Â»Vom Zug, sagen sie, liebe Frau, wir haben nämlich ein Motorrad, und er fährt herum ohne nix, und da hat ihn der Zug erwischt, hat der Dokter gesagt, wo ihn opiriert hat, der hat da nur erstarrten Eiter herausgeholt, von hier nämlich …« Und mit ihren schwieligen Fingern fuhr sie sich über den Nasenrücken. »Mein Gott, was hat er gelitten, noch nicht mal das konnte er essen, was ich ihm mit dem Löffel eingeflößt

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