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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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hab’ … Und wenn ich ihn so gesehen hab’, ein gestandener Mann, und dem muss man’s einflößen wie einem kleinen Kind, da hat mich das Weinen überkommen, ich konnt’ mich nicht beherrschen, du tränkst wieder die Mäuse, Maria, hat er gesagt, so ist er halt, furchtbar komisch … Und in dem Sommer, da hab’ ich nix mehr auf die Reihe gekriegt, auch die Kinder hab’ ich allein zu Haus’ gelassen, meine Schwiegermutter, die ist schon mal gekommen, aber was konnte die schon tun, die ist ja auch alt. Und als das Mädel nach Bukarest gehen sollte, wer sollte sie da hinbringen, das hätte ihr Vater gemacht, aber so, wer hätte es tun sollen? Da sind viele Kinder aus dem Dorf gegangen, und sie mit, und wie Gott es gewollt hat, ist von denen allen nur sie aufgenommen worden … Oh, wenn ich nur dran denk’ …« Sie zog schniefend die Nase hoch und erzählte weiter, mit weinerlich heiserer Stimme. »Als sie dann ins Spital kam und sagte, schau mal, Vater, man hat mich aufgenommen, da hat er nur so gefuchtelt mit den Händen und hat sie nicht zu fassen gekriegt …«
    Â»Jetzt geht es ihm aber gut?«, fragte Mutter.
    Â»Ja schon, im Herbst hat ihm der Dokter die Augen aufgemacht, er kann schon sehen, aber nicht wie früher. Er kriegt Pension von der LPG , hundertfuffzig Lei.« Plötzlich wurde ihre Stimme kalt, und sie richtete sich kerzengrade im Sessel auf. »Dann aber hatten wir im Herbst das andere Elend, mit dem Mädel«, sagte sie und neigte sich zu Mutter. »Die steht auf einmal da mit diesem Jungen, dem Sandu, und will nur noch heiraten, jetzt sagen Sie bloß, was hätten Sie da getan? Wenn es wenigstens ein gesetzter Mann gewesen wäre, aber wir kannten ihn ja, wir wussten einiges und dass sie mit ihm geht, aber ihr Vater hat ihr nur immer gesagt, sie soll sich den aus dem Kopf schlagen, weil er, er lässt sie nicht …«
    Â»So ist das mit den Töchtern, nichts als Sorgen«, sagte Mutter und sah mich vorwurfsvoll an.
    Â»Wenn du wüsstest, was jetzt überall für ein Gedränge ist«, sagte Marilena, während sie auf dem Fensterbrett in ihrer abgegriffenen Briefesammlung blätterte.
    Postkarten, Umschläge mit zittriger Schrift von Greisenhand, Glückwünsche und Grüße auf vornehmem Papier aus der Schreibmappe in großer und allzu gerundeter Schrift – die kamen vom Militär.
    Â»Lass mal, irgendwie ist es schon gut, dass du fährst«, raunte ich ihr zu, sie aber wurde rot vor Zorn und zog ihre Hand aus der meinen.
    *
    Einen Ostertag könnte ich auch so erkennen, sagte ich mir, als ich von Biţăs Balkon in der vierten Etage hinunterschaute. Ich würde ihn ganz einfach erkennen, wenn ich hier hinunterschaute. Der Straßenlärm war abgeschwollen, nur irgendwo weit weg ratterten noch ein paar Straßenbahnen, die Stadt hatte die pflichtschuldige, hysterische Umtriebigkeit vor den Feiertagen mit ihren Häusern aufgesogen. Das Licht strahlte nicht mehr in diesem unnatürlichen und schwer zu ertragenden Weiß, auch das Grün der Bäume hatte das Wachsen eingestellt. In den Schaufenstern der geschlossenen Gemüseläden lagen Haufen von Spinat, Bündel kümmerlicher Zwiebeln und weiße Berge von Eiern. In den Fleischerläden hingen arg rot angelaufene gefrorene Lämmer, die in letzter Minute vor Ladenschluss geliefert worden waren, grinsend an den Fleischerhaken. Selbst wenn es auf der Straße wieder wimmelte, konnte man an den gemächlichen Schritten erkennen, dass es ein Feiertag war: Die einen gingen zu den anderen und brachten Päckchen und in Papier eingeschlagene Weinflaschen mit. An einer Ecke des Rasens war ein Säufer erwacht, hatte seine entzündeten Triefaugen aufgerissen und ließ beim Anblick seiner rötlichen Kotze lachend dem Schluckauf seinen Lauf.
    Â»Du bist besoffen wie ein Schwein«, schimpfte eine Frau mittleren Alters. Ihr Gesicht funkelte in der Hitze, und ihr ganzer schwabbelnder Körper war schweißüberströmt. Sie schleppte eine prallvolle Einkaufstasche wie an gewöhnlichen Tagen. Hinter den frisch geputzten Fensterscheiben schimmerte dasselbe Varietéprogramm, die Fernseher liefen vor gedeckten Tischen, und ihr allgegenwärtiges, von allen Seiten strömendes Gedudel vervielfältigte sich und legte sich über die ganze Stadt. An den Haltestellen

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