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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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Ausdruck wissenden und geschmeichelten Erstaunens hatte er sich schon damals zugelegt, als ich ihn in unserer Stadt sah, dazu hatte er den leicht wiegenden Gang ausgebildet, in dem die ganze Unsicherheit von einst gebannt war, und die neue Haltung des Körpers, der eins war mit dem maßgeschneiderten Anzug. Er schwieg und ging weiter neben mir durchs Zimmer. Von seiner schlaksigen Gestalt am Geländer vor der Buchhandlung Das Russische Buch , dem mit einer übergroßen steifen Baskenmütze bedeckten Kopf, dem dünnen Hals mit spitzem Adamsapfel, der beim Lachen auf und ab hüpfte, wie sie vor meinem geistigen Auge standen, hatte er keine Ahnung.
    Â»Damals müssen Sie ja ein kleines Mädchen gewesen sein«, lachte er. »Eigentlich sind Sie ja auch jetzt …«
    Ich lächelte ebenfalls, die kurze Erinnerungsszene hatte mir ungeahnte Macht über ihn verliehen. Während ich ihn so schief von der Seite ansah, stolperte ich über die Schwelle. Mit hochrotem Kopf tastete ich nach etwas, woran ich mich festhalten konnte. Er lachte genüsslich und grausam, hielt mich an der Schulter fest und nahm meine Hand in die seine, wobei er den Gang entlang deutete.
    Als ich aus der Glastür trat, ergoss sich die Luft draußen über mich wie heißer Atem. Das Gebäude mit den am Gehsteig geparkten Autos blieb zurück, unfassbar riesig hob es sich, je weiter ich mich entfernte, immer deutlicher vom Himmel ab. Ich kam nur schwer voran, die Weite des Platzes schien mich, betäubt wie ich war, aufzusaugen. Wem galt diese unsichere, verschämte Freude, Onkel Ion oder mir selbst? Ich schnitt eine Grimasse, als ich an die unterwürfige Stimme zurückdachte, mit der ich ihn angesprochen hatte, und biss mir ärgerlich auf die Fingerkuppen. Unter dem durchscheinend bunten Vordach der Haltestelle saß eine Frau auf der hölzernen Bank und löffelte Eis aus einem weißen Plastikbecher. Sie hielt ihn weit von sich, und die klebrigen braunen Tropfen fielen zwischen den unförmigen Knien hindurch, die wegen der Hitze auseinander standen. Am Zaun ließen blaue Iris, ermattet von der dampfenden Schwüle, die versengten Blätter hängen, warm roch es nach frisch gemähtem Gras. Ich betrat den blau überwölbten Kantinensaal, er war fast leer, denn bald wurde geschlossen. Die stickige Luft war geschwängert vom Essensgeruch, auf den weißen Tabletts und in den Bergen nicht abgeräumter Teller gammelten Speisereste vor sich hin. Ein paar große Fliegen summten über den Tischen, andere prallten gegen die mit blauen Kunststoffjalousien verschatteten Fensterscheiben und suchten einen Weg nach draußen. Hastig und lustlos schlang ich mein Essen hinunter, ständig darauf bedacht, nicht aufzublicken. Der Tag verlief wie gewohnt im Sand, ich spürte, wie er erschlaffte, ebenso erschöpft wie ich.
    Langsam stieg ich die Treppen hinauf, wobei ich mit der Hand am Geländer nachhalf. Durch das Dachfenster des Treppenhauses sah ich den plötzlich weiß bewölkten Himmel. Auf der Straße wurde es ruhig, ein scharfer Wind versetzte die Luft sanft in Bewegung und kündigte Regen an.
    Auf Zehenspitzen betrat ich das Zimmer. Während ich mich auszog, hörte ich, wie die Regenrohre unter dem Ansturm des Wassers ächzten und krachten. Große Tropfen prasselten gegen die Scheiben, und ich ging das Fenster schließen, in dem sich der Wind verfing. Die Luft wurde schwarz und schillerte dann in allen Farben, wobei das Grün des Rasens hervorstach. Von den Balkons gegenüber riefen ein paar Mütter nach ihren Kindern. Der unerwartete Regenguss ließ den Asphalt dampfen, in den Pfützen auf dem Gehsteig brodelten immer größere Blasen. Mit geschlossenen Augen warf ich mich aufs Bett, das ganze Zimmer roch nach nasser Erde und nach Lindenblüten. Das heftige Brausen des Regens vernahm ich als den sehnlich erwarteten Abschluss dieses Tages.

Kapitel XVI
    I ch wusste, dass sie jeden Tag zum Friedhof ging und dabei, da sie die Stadtmitte durchqueren musste, die nun einmal auf ihrem Weg lag, die unvermeidlichen Bekannten (ihre, vor allem aber seine) mied, allerdings immer damit rechnen musste, dass die sie mit überflüssigen Floskeln behelligten.
    Â»Ich habe es gehört«, sagten sie langsam und traurig und fassten nach ihrer Hand, die Mutter mit kaum verhohlener Feindseligkeit zurückzog. »Er war ein ganz besonderer Mensch,

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