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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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du … Gestern habe ich sie unten telefonieren sehen … Ihr Vater hat Beziehungen im Ministerium, sie hat es mir selbst gesagt …«
    Dabei erinnerte sich jetzt jede an längst vergessene Bekanntschaften, an die man sich hätte wenden können. Da ich damit vertraut war, hatte ich Barbu bei einer Begegnung, als er von seinem Freund sprach, dessen Vater ein Bonze gewesen war, forschend von der Seite angesehen und auf Weiteres gewartet. Eindringlich musterte ich ihn, sein kindliches Gesicht, das kleine fliehende Kinn, plötzlich erschien mir sein Lachen gekünstelt und ich hatte ihn im Verdacht, er wollte das Gesprächsthema wechseln. Verärgert ging ich weiter neben ihm her, und mir fiel ein, dass er nie vom Heiraten sprach. Dabei wäre ich außerstande gewesen, jahrelang hier auf ihn zu warten, wie es andere Mädels machten, deren Männer in der Provinz waren. In ein paar Monaten wurde auch er zugeteilt, und da er nicht in Bukarest gemeldet war, sah ich keine Chance, dass er hierblieb. Ich war deshalb überzeugt, dass bald alles aus sein würde, wenn ich ihm das auch nie sagte und nichts in dieser Richtung unternahm.
    Ich zuckte verdrossen mit den Schultern und erhob mich schwerfällig von der Decke. Ich war steif, und mir brummte der erhitzte Schädel. Mit matten Handbewegungen begann ich meine Sachen einzusammeln.
    *
    Â»Schon zwölf?«
    Ich sprang zum Nachtschränkchen, um mir Seife und Handtuch zu holen. Das wäre ja allerhand, wenn ich mich verspätete, schließlich hatte ich so lange auf den Tag gewartet, an dem ich endlich erfuhr, dass ich Petru Arcan im Institut antreffen würde.
    Zum offenen Badezimmerfenster schien der aller Farbe beraubte Himmel blendend weiß herein, von einer unsichtbaren Sonne hinter ihm angestrahlt. Ich wollte mit den Arbeiten meines Onkels zu Petru Arcan gehen, aber tat ich das nur für ihn oder auch für mich? Ich huschte unter die hinterste Dusche, die keine Brause hatte, und der schwere Wasserstrahl prasselte auf meinen Rücken, als wollte er ihn anknabbern. Die Vögel flatterten am offenen Fenster vorbei; ohne hinzusehen, nahm ich ihr unablässiges Hin und Her hinter geschlossenen Lidern wie ein Gewirr gebrochener schwarzer Linien wahr. Alles empfand ich anders als sonst, wie in einem unverhofften Neuanfang begriffen. Offenbar erwartete ich für die nächsten Wochen irgendwelche Veränderungen. Allein, denn das war ich jetzt, allein musste ich mich durchsetzen in einer Welt, in der die wertlosen, vergilbten Papiere von Onkel Ion zu richtigen Büchern gemacht werden könnten. Wie diese Welt aussah, in die ich mich aufmachte, das konnte ich mir nicht vorstellen … Für mich bestand sie nur aus Namen, die ich in Zeitschriften und auf Buchumschlägen gelesen oder vom Onkel gehört hatte. Jeder Bewohner dieser Welt (davon war ich überzeugt) war in ständiges Studium vertieft. Die Eintönigkeit tat seinem unverdrossenen Eifer keinerlei Abbruch, Selbstzweifel oder Überdruss fochten ihn nicht an, und schon er hatte mich spüren lassen, dass ich unwürdig war, über die Schwelle dieses Hauses zu treten … Das Pochen des aufgewühlten Blutes an den Schläfen zählte die Sekunden, die mir noch blieben bis dahin, und ein merkwürdiger Druck wie von gestauter Luft hatte sich irgendwo in meiner Brust zwischen den Rippen eingenistet. Den Lidschatten in der Hand neigte ich mich zum Spiegel, der plötzlich erfüllt war von meinem starren Auge, das vor lauter Konzentration nichts mehr sah. Meine schüchterne Hartnäckigkeit steigerte sich beinahe bis zum Starrsinn. Ich wusste nur noch, dass ich weitergehen musste, damit mich Onkel Ions Versagen nicht einholte, und meine Hände zitterten vor ängstlicher Erregung.
    *
    An der Straßenbahnhaltestelle blühte verspätet ein Pfirsichbaum. Wie er da wuchs, beengt vom Pflaster und den grauen Mauern ringsum, erschien er unwahrscheinlich und künstlich mit seinen weißrosa Blüten wie aus Papier. In fieberhafter Hast erreichte ich die Glastür, gegen die ich mich mit der Schulter und dann, als sie sich nicht rührte, mit beiden Händen stemmte. Sie schloss sich geräuschvoll hinter mir und schleifte mein Bild mit sich, den mit einem Schnürsenkel gebundenen Pferdeschwanz und die billigen Schuhe, ganz verstaubt von dem langen Weg hierher. An dem geflochtenen Gitter des Fahrstuhls blieb ich nicht

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