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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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Blättern waren ihr mehr als vertraut. Die Marmorkreuze mit den vergilbten ovalen Porträts und die mit fleischigen Narzissen und Hyazinthen voll gesteckten Gläser davor, über denen die Bienen summten, sah sie gar nicht mehr, so gut kannte sie das alles schon. Ein paar alte Zigeunerinnen fegten die Allee, und durch ihr Gekreische tönte das Gurren der Tauben. Mutter war an dem Wasserbecken auf halber Strecke angelangt, und je näher sie kam, desto mehr Frösche schnellten aus dem grünlichen Wasser. Auf dem Seitenweg, den sie einschlug, stand das seit Jahren sich selbst überlassene Gras besonders hoch, und darin wuselte es unsichtbar von Mäusen oder vielleicht Eidechsen.
    Â»Für wen ist das?«, fragte sie, als sie das Kreuz mit frisch gemalten Buchstaben sah, umgeben von welkenden Kränzen.
    Â»Ach ja«, sagte die Alte, »ein Neuer, vom Sonntag.« Sie fuhr sich mit dem speckigen Ärmel über den Mund und zog hingebungsvoll die Nase hoch. »Ein Ingenieur, der zwei große Kinder hinterlässt … Ach nein, der ist drüben, an der anderen Allee … Wer ist dieser bloß, mein Gott, ich hab’s vergessen … Ich vergess’, gute Frau, ganz fürchterlich … Dies ist ein Junge, der ersoffen ist, mein’ ich …«
    Mutter war angekommen. Von Weitem schon sah sie die Krypta und das unter dem Regen des Frühjahrs leicht geneigte und geschwärzte Kreuz. Vielleicht erwartete sie von Mal zu Mal, dass es hier zu einer Begegnung kam, darum sagte sie nie: »Ich gehe auf den Friedhof«, sondern immer: »Ich gehe zu meinem Bruder, dem Ärmsten.« Dabei war alles unverändert, die Bäume grünten rundum, und es duftete nach Sommer. Mutter schluckte heimlich den Kloß hinunter, legte ihre Tasche auf eine Ecke des Grabsteins und packte umständlich die Kerzen und die Streichhölzer aus.
    Â»Hier war ein Blumentopf, den die Schüler am Sonntag gebracht haben«, sagte sie tadelnd zur Alten, wobei sie sich aufrichtete und den Rücken streckte.
    Â»Der ist wohl weg, gute Frau, man kann ja die Augen nicht überall haben … Der Herr strafe sie, diese Diebe, die kennen keine Sünde nicht. Die stehlen und bringen’s sonstwo hin …« Jetzt scharwenzelte sie um Mutter herum, die gehen wollte. »Etwas von einer Hose hab’ ich Euch gesagt oder so, vielleicht ist noch was da von dem guten Herrn … Seht doch, wie gut die Schuhe sind, die Ihr mir habt gegeben … Mein Mann hat auch gesagt, wieso hast denn du so was, Weib, gib sie lieber mir … Und was ist mit mir, hab’ ich gesagt, wie soll ich denn rumlaufen den ganzen Tag auf dem Friedhof …«
    Â»Hier ist das Öl«, sagte Mutter, als hätte sie nichts gehört, und wickelte das Fläschchen aus dem Zeitungspapier. »Aber das Lämpchen will ich nicht mehr erloschen vorfinden, sonst sag ich’s dem Verwalter. Und das ist für dich«, sagte sie und gab ihr das Päckchen. »Bettel bloß nicht mehr um Kleider, ich habe dir jede Menge gegeben, du kannst dich nicht beklagen, was ich noch habe, brauche ich für mich oder mache es meiner Tochter zurecht …«
    Â»Vergelt’s Gott«, sagte die Alte und packte mit krummen Fingern zu. »Der Herr schenke seiner Seele Ruh’. Ich geh’ jetzt, gute Frau, ich hab’ da noch ein paar Gräber zu versorgen … Wenn was ist, ruft nur, ich hör’ schon, es ist nicht weit.«
    Da wäre noch was, dachte Mutter, etwas wäre noch, aber ich gebe es ihnen nicht, es ist mir zuwider, wie sie in seinen Kleidern an der Sonne liegen. Und sie verharrte gekrümmt über seinem Kreuz und beweinte ihn mit einer immer gelasseneren Verzweiflung. Mittlerweile spürte sie, wie ihre Bewegungen und Worte von seinem unsichtbaren Blick aufgenommen wurden. Das war der Moment, in dem ihr Glaube, bestärkt durch die Stille, ihm begegnete – bis die Luft dann erfüllt wurde von dem Gebrüll der Fußballfans. In der Nähe des Friedhofs, im neuen Stadion der Stadt, war das Spiel zu Ende. Sie sah sich dann mit ernüchterten Augen um, sah, dass es Abend wurde, und schnäuzte sich heftig, während sie die welken Blumen in die Tasche stopfte. Vor der Krypta verharrte sie noch eine Weile, weil sie nicht wusste, wie sie sich losreißen sollte, schlug noch ein paar Mal zaghaft das Kreuz über der Brust und ging;

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