Der globale Polizeistaat
bewältigen«. Eine Verfassungsinstanz, die das verhindert, muss in der Konsequenz ebenfalls bewältigt werden. Über naturgegebene Befugnisse kann natürlich nicht das keineswegs naturgegebene Verfassungsgericht entscheiden. Es ist folglich zu schließen, im Widersetzungsfalle effektiv unschädlich zu machen.
So müsse man, sagt Depenheuer, die traditionelle Trennung von Krieg und Frieden, zwischen Militär und Polizei endlich aufgeben: »Polizei und Streitkräfte erfüllen die gleiche Funktion der Gefahrenabwehr.« Jeder Krieg sei wie eine polizeirechtliche Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, nur viel schlimmer. Darum sei es generell Aufgabe der Soldaten, weiterzumachen, wo die Mittel der Polizei nicht ausreichen. »Die Intensität der Gefahr« sei entscheidend, »nicht, woher sie kommt oder wo ihr begegnet wird.« Heute die Welt, morgen ganz Deutschland: Der Feind ist überall. Also muss die Bundeswehr überall sein: Die »Unbedingtheit der staatlichen Sicherheitsverantwortung« lasse keine Einsatzbegrenzung zu. Denn es geht dem Staatsrechtler nicht nur um die Selbstbehauptung Deutschlands,
es geht ihm darum, dem Feind überall entgegenzutreten, wo er sich zeigt. Zur Verteidigung gehöre eben auch die »Bürgerverteidigung« - das ist die Verteidigung der »Schutzbefohlenen« des Staates gegen jene, die ihre Sicherheit bedrohen, speziell also Terrorverdächtige. Aber auch die »Staatsgewalt« sei militärisch im Inland zu schützen - vor den Bürgern offenbar, zumindest vor den Verfassungsrichtern. Die Verfassung, auch eine Schutzbefohlene des Staates, sei ebenfalls der Verteidigung wert. Die Bundeswehr müsse ebenso gegen »Verfassungsfeinde« vorgehen können. Ein neuer Radikalenerlass mit Lizenz zum Töten.
Depenheuer legt Wert auf die Feststellung, dass durch die Loslösung des Militärs von der Verfassung für die kriegerischen Aktionen auch keine speziellen Ermächtigungsgrundlagen wie im Polizeirecht erforderlich seien. Die Bundeswehr kämpfe gegen den Terror »aus eigener Kompetenz«, aus »originärer« - man möchte sagen: naturgegebener - Zuständigkeit. Dies hat zur Folge, dass, wie in jedem Krieg, die Grundrechte und Freiheiten des Grundgesetzes nicht bindend sind. Pressefreiheit? Versammlungsfreiheit? Friedenskram. Das behindert die »Effektivität« der Verteidigung.
Wie aber soll effektive Verteidigung gegen Terroristen möglich sein? Anders als im Krieg tragen die ja keine Uniform. Wie soll der Staat seine unbedingte Verpflichtung gegenüber den Schutzbefohlenen wahrnehmen, wenn er sie nicht so richtig von den »Gefährdern« unterscheiden kann? Wie soll mit militärischen Mitteln überhaupt sinnvoll Prävention, die Arbeit mit dem Zweifel, möglich sein?
Die Praxis wird es weisen. Überragende Gefahren kann ein erfahrener Militär spüren. Oft gehe es ja nur um »Restzweifel«, weiß Depenheuer, diese verdammte Unsicherheit, die den Rechtsstaat lähmt und hartes Durchgreifen verhindert. Insoweit, so der Wissenschaftler, »verfügt der Verteidigungsminister über eine Einschätzungsprärogative.«
Wäre da, Herr Professor, der Vorschlag, »Schutzbefohlenenausweise« zur Beseitigung von Restzweifeln über die eigenen Bürger auszugeben, nicht effektiver?
Zweites Kapitel
Der Angriff der Drohnen
Kein Zischen, kein Knall. Sinan al-Harthi hat nichts mehr gehört von dem Geschoss, das ihn tötete. Die Hellfire-Rakete, die am 4. November 2002 punktgenau in seinem Geländewagen einschlug, war schneller als der Schall. Im Feuerball ihrer Explosion verglühte Harthi zusammen mit fünf Weggefährten.
Der Zwischenfall am Rande der fast menschenleeren 780 000 Quardratkilometer großen Rub-al-Chali-Wüste war in Washington vorbereitet worden. CIA-Agenten hatten Harthi monatelang beobachtet und dann ein unbemanntes Kleinflugzeug auf seine Spur geschickt. Dessen Videokamera verfolgte vom Himmel aus die Wüstentour des Delinquenten und übertrug die Bilder in einen fensterlosen Container irgendwo in Dschibuti. Der Pilot in dem Container konnte mit dem Zoomobjektiv sogar die Nummernschilder des Fahrzeugs auf der Wüstenpiste lesen. In einem günstigen Augenblick drückte der Mann auf den Knopf: Am Himmel über der Wüste löste sich in rund 7000 Meter Höhe die Rakete vom Flügel des kleinen Flugzeugs. In Washington erklärte der damalige Verteidigungsminister Donald Rumsfeld anschließend sichtlich zufrieden, Harthi sei »aus dem Verkehr gezogen« worden.
Die Attacke auf den gefürchteten
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