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Der globale Polizeistaat

Der globale Polizeistaat

Titel: Der globale Polizeistaat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Darnstädt
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keinen Platz im Staat des Grundgesetzes. Entsprechend bedenklich sei, so Dürig später, auch die Ermächtigung für die Bundeswehr, Volksaufstände im Land zu bekämpfen - weil unklar sei, auf welcher Rechtsgrundlage die Soldaten dabei handelten.
    »Die Scheu vor der Bundeswehr als innenpolitischem Kampfinstrument durchzieht das ganze geltende Verfassungsrecht«, schrieb der Kommentator Dürig. Die Idee, wieder stiefeltragende, stramm marschierende Trupps, Kampflieder auf den Lippen, durch Berlins Straßen und dann in die ganze Welt ziehen zu sehen, hat der Generation der Verfassungsväter noch Angst gemacht.
    Den Enkeln geht das nicht mehr so. »Die Last der deutschen Geschichte mit ihrem leichtfertigen wie überdehnten Einsatz der militärischen Gewalt«, so formuliert frisch und unschuldig der Kölner Staatsrechtler Depenheuer, habe zu lange den Blick verstellt für die wahre Aufgabe des deutschen Militärs. Doch weitere Zurückhaltung, heißt es in seiner Kommentierung des Bundeswehr-Artikels, sei »unverantwortlich«.
    Depenheuer nimmt die »Verantwortung des Verfassungsinterpreten« wahr, den Staat und seine Streitmacht auf ihre eigentlichen Aufgaben hinzuweisen. »Politische Herrschaft steht und fällt mit der beglaubigten Fähigkeit und Bereitschaft, den Sicherheitsanspruch der Schutzbefohlenen faktisch einzulösen.«
    Wir merken uns: »Schutzbefohlenen.«

    Weiter: »Die Staatsaufgabe Sicherheit ist genuine Staatsaufgabe und damit Verfassungsvoraussetzung« - sie »steht nicht zur Disposition des Verfassungsgebers«.
    Wir merken uns: »Verfassungsvoraussetzung«. Mögen aber nicht weiterlesen, weil wir nicht wissen, was das ist. Handelt es sich um eine tatsächliche Voraussetzung, also etwa genug Essen oder hinreichende Rohstoffe? Offenbar nicht, es geht um eine »Staatsaufgabe«. Die kommt aber nicht natürlich vor. Jemand muss sie stellen. Es ist eine normative Vorgabe. Aber wer gibt hier etwas vor? Der Staat offenbar. Kann der Staat etwas vorgeben, was nicht in der Verfassung steht, sondern sie bedingt? Und wem gibt er das vor? Sich selbst?
    Komischer Staat.
    Wir ahnen natürlich, woher Depenheuer das hat: von Carl Schmitt. Der Staatsdenker, der mit seinem mystischen Antiliberalismus schon einmal eine Demokratie, die Weimarer, in jenen Grund und Boden geschrieben hat, der anschließend zum Nährboden der Nazi-Diktatur wurde, ist erklärtermaßen Depenheuers Vorbild. Im neuen Maunz-Dürig setzt er Carl Schmitt eins zu eins um: Die Idee, dass der Staat zuerst kommt, und dann erst die Verfassung, dass die Staatsmacht aus dem Nichts der freien Entscheidung des Souveräns geboren ist, klingt nach absoluter Monarchie, ist aber tatsächlich vom »Meister«. Nun wird sie zur Idee des deutschen Grundgesetzes.
    Daraus folgt für Depenheuer: Die Sicherheit als Staatsaufgabe ist auch die Voraussetzung der Freiheit, wie sie die Verfassung garantiert. Das ist nun wiederum keine normative, sondern eine empirische Beziehung: »Es kann zwar Sicherheit ohne Freiheit geben, nicht aber Freiheit ohne Sicherheit«. Aus der Beschreibung schließt er schnell auf eine neue normative Vorgabe: Die Freiheit dürfe keinen Vorrang vor der Sicherheit haben - »in dubio pro libertate«, der fundamentale Verfassungsgrundsatz des Grundgesetzes, habe darum keine Geltung.
    Weil der Staat vor der Verfassung der Freiheit rangiert, muss er sich auch nur begrenzt nach dieser richten. Der Staat hat seine
eigenen Rechte unabhängig von der Verfassung. Nur woher? Schmitt hat darauf nie eine klare Antwort gefunden. Depenheuer aber schon: Von der Natur. Der Staat hat »naturgegebene Rechte«, etwa - und nun sind wir beim Punkt - »das Recht zur individuellen wie auch kollektiven Verteidigung gegen bewaffnete Angriffe«. Es sei nun mal so: »Nur wenn ein Staat und dessen Soldaten im Grenzfall bereit sind, ihr Leben hinzugeben, haben diese Zukunft.« Denn ohne Selbstaufgabe keine Selbstachtung. Staaten aber, »die über keine Selbstachtung verfügen, müssen über kurz oder lang unter den Hegemonialanspruch fremder Staaten geraten«. Lieber tot als rot, hieß das früher.
    Wo der Staat von der Verfassung daran gehindert werde, so die logische Konsequenz, dieses Naturrecht der Verteidigung »effektiv« auszuüben, müsse die Verfassung, »sei es durch Verfassungsänderung, sei es durch Interpretation« eben angepasst werden. »Aufgabe der Verfassungsinterpretation« sei es also, »die sicherheitspolitischen Herausforderungen sachadäquat zu

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