Der globale Polizeistaat
an der Kommentierung der einzelnen Grundgesetzartikel im Maunz-Dürig beteiligen dürfen, gehören zur juristischen Elite des deutschen Verfassungsstaates. Entsprechend erwartet die Fachwelt das Erscheinen der Loseblattlieferungen stets mit großer Neugier. Denn zentrale Rechtsentwicklungen im Verfassungsrecht kündigen sich in der Regel durch Neufassungen der Kommentierung in diesem dickleibigen Vierbänder an.
Diesmal lieferte der Verlag die Neukommentierung des Artikels 87 a des Grundgesetzes aus - der Artikel handelt vom Einsatz der Bundeswehr. Der Kommentator ist der Kölner Staatsrechtsprofessor Otto Depenheuer, den wir schon als Stichwortgeber für Wolfgang Schäuble kennengelernt haben 19 , der umgekehrt die Lektüre der Depenheuer’schen Werke ausdrücklich empfiehlt. 20 Auch was Depenheuer im MDH über den Einsatz der Bundeswehr im Krieg gegen den Terror schreibt, ist ohne Zweifel in Schäubles Sinn. Die Kölner Lesart der Verfassungsnorm über das Militär jedenfalls ist als juristische Grundlage für die oben skizzierte Anordnung des Schäuble-Mitstreiters Franz Josef Jung aus dem Bundesverteidigungsministerium ganz gut geeignet. Wenn es danach geht, bedarf es für den Krieg in Deutschland, für die Stilllegung des Bundesverfassungsgerichts und die Suspendierung der Grundrechte nur eines Federstrichs.
Der Artikel 87a, um den es hier geht, hat wie fast alle Vorschriften mit kleinen Buchstaben hinter der Ziffer eine delikate Geschichte. Denn die Buchstaben sind stets der Hinweis darauf, dass ein Gesetz oder eine Verfassungsnorm nachträglich in ein von den Vorgängern geschaffenes abgeschlossenes Regelwerk hineingeklemmt wurde, um besserwisserisch den großen, runden Wurf der Vergangenheit zu verändern. An den kleinen Buchstaben hinter der Zahl erkennt man sämtliche Verschärfungen
des Polizeirechts und des Strafrechts im Kampf gegen den Terror, je weiter fortgeschritten im Alphabet sich eine Gesetzesvorschrift präsentiert, desto deutlicher haben sich ihre Schöpfer bereits von den Ideen ihrer Vorgänger entfernt. Die Vorschrift über Onlinedurchsuchungen bei »Gefährdern« im neuen BKA-Gesetz 21 zum Beispiel heißt 20k - es geht weiter bis 20x.
Der Artikel 87a musste ins Grundgesetz 1956 gedrückt werden, als etwas geschah, das bei der Erfindung der Bundesrepublik 1949 undenkbar erschien: Deutschland sollte wieder Krieg führen. Franz Josef Strauß und Konrad Adenauer hatten die Wiederbewaffnung der jungen Republik gegen den Geist ihrer Gründer durchgesetzt. Das passende Verfassungsupdate wurde hinter die Vorschrift in Artikel 87 über die »Gegenstände der bundeseigenen Verwaltung« - Bundes-Wasserstraßen, Bundes-Finanzverwaltung, Bundes-Kriminalamt - geklemmt: nun also auch Bundes-Wehr.
Die sich damals entschlossen, a zu sagen, wollten unter keinen Umständen b sagen: Die Einrichtung der Bundeswehr sollte auf keinen Fall die Rolle des neuen Deutschlands als kriegerische Macht begründen. Nur »zur Verteidigung« sollten die Feldgrauen ihre Waffe in die Hand nehmen dürfen. Erst später, zusammen mit den Notstandsgesetzen (Artikel 115a bis 115 l!), wurden ein paar Ausnahmen eingeführt. So erlaubt Artikel 87a, Absatz 3 den Militärs, der Polizei beim Objektschutz bei der Regelung des Verkehrs personell auszuhelfen, wenn auch nur im vom Bundestag festgestellten »Fall, dass das Bundesgebiet mit Waffen angegriffen wird« (Artikel 115a). Im Fall von Katastrophen und Volksaufständen darf die Bundeswehr nach Absatz 4 den Ländern helfen, mit polizeilichen Mitteln die öffentliche Ruhe und Ordnung wiederherzustellen und Katastrophenfolgen zu beseitigen - wie zum Beispiel, als bei Hochwasser 2002 die Elbe über ihre Ufer trat. »Außer zur Verteidigung«, heißt es sicherheitshalber in Artikel 87a, »dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit das Grundgesetz es ausdrücklich zulässt.«
»Ausdrücklich«: Ein Interpretationsspielraum sollte den kalten Kriegern der Sechzigerjahre ausdrücklich verschlossen bleiben. Und im Geiste dieser Zeit entstand auch die verbindliche Lesart des 87a, die der Mitherausgeber Günter Dürig 1971 verfasste: Eine enge Auslegung des Bundeswehr-Artikels sei von »entscheidender Bedeutung für unser gesamtes Verfassungsleben«, dazu gehöre die Gewissheit, dass die Militärs im Innern nur »subsidiär«, das heißt als Gehilfen der Polizei, niemals aber als Krieger tätig werden dürfen: Die »Vernichtung« des Gegners, das Ziel eines Kriegseinsatzes, habe
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