Der globale Polizeistaat
genug, Ursachen in der Rechtsordnung des Grundgesetzes finden wird. Abseits aller Spitzfindigkeiten wird das Problem ja schon im vorgestellten Fall deutlich, dass ein Flugzeug in Paris
startet, beim Überfliegen des Rheins von Terroristen übernommen wird und nach mehreren Abfangversuchen Richtung London verschwindet, wo es abzustürzen droht: Was ist für wen wann außen und innen?
Wenn alle Beteiligten die Nerven behalten und auch der deutsche Verteidigungsminister seine Ankündigung, in so einem Falle einfach den Abschuss zu befehlen, nicht wahr macht, kommt man zu ganz vernünftigen Ergebnissen. Ausgangspunkt für die Frage, ob hier die innere oder äußere Sicherheit der Bundesrepublik bedroht ist, ist die Rechtsmacht, die der Staat zum Zeitpunkt der Entscheidung über die dann zur Disposition stehenden Ursachen hat: Natürlich ist es müßig, in der geschilderten Situation darüber zu diskutieren, ob die Sicherheitsvorkehrungen am Ausgangsflughafen hätten verbessert werden müssen. Die einzige Ursache für den drohenden Absturz, die der deutschen Rechtsordnung überhaupt zugänglich ist, ist die im deutschen Luftraum fliegende Maschine. Was mit dieser Maschine zu geschehen hat, liegt nicht nur in der tatsächlichen, sondern auch in der rechtlichen Reichweite des Staates. Die Maschine fliegt nicht im rechtlichen Niemandsland, der Umgang mit ihr ist verrechtlicht. Die rechtliche Ordnung, innerhalb der die Maschine fliegt, sagt allerdings aus dem Mund des Bundesverfassungsgerichts 10 , dass die Menschenwürde der Flugzeuginsassen nicht durch deutsche Gewaltakte beeinträchtigt werden darf. Es handelt sich also - vorübergehend - um ein Problem der inneren Sicherheit, allerdings um ein unlösbares. Damit wird es aber nicht zum Problem der äußeren Sicherheit. Denn dann wäre der Zustand erreicht, den sich ein Innenminister nur wünschen kann: Alle Probleme, die zu lösen das Gesetz verbietet, lösen wir eben mit dem Kriegsrecht.
Es reicht also, wenn zumindest eine der vielen in Betracht kommenden Ursachen in Reichweite des deutschen Rechts liegt. Andererseits kommt es darauf an, ob diese Ursache geeignet ist, im zuständigen Recht eine sicherheitsfördernde Maßnahme auzulösen. Wenn nicht, kommt es darauf an, nach weiteren
rechtlich einschlägigen Ursachen zu suchen. Dieses Verfahren ist im innerstaatlichen Polizeirecht geradezu Standard: Ob eine »Gefahr« im Sinne der Polizeigesetze vorliegt und ein Eingreifen ermöglicht, entscheidet sich 11 an der zum Zeitpunkt der Entscheidung zur Verfügung stehenden Prognosegrundlage. Diese Grundlage ist die Erkenntnis über eine Reihe von Tatsachen, die als Ursachen eines bevorstehenden Schadens in Betracht kommen. Nun kann es vorkommen, dass solche Ursachen für die Begründung einer Schadensprognose mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit keine hinreichende Grundlage bieten - die Voraussage wäre beispielsweise zu vage. Dann liegt keine Gefahr im Sinne des Gesetzes vor. Die Polizei darf nichts tun, sondern muss neue Ursachen suchen gehen. Zweite Möglichkeit: Auch wenn eine Gefahr prognostiziert wird, ist der Zugriff auf die rechtlich erreichbaren Ursachen gleichwohl nicht möglich, weil er aus anderen Gründen der Rechtsordnung verboten ist - etwa und typischerweise, weil er eine unverhältnismäßige Verletzung konkurrierender Rechtsgüter mit sich brächte. Auch dann kann nichts getan werden, die innere Sicherheit zu schützen. Das ist die Situation des Flugzeug-Beispiels.
Der extrem unwahrscheinliche Fall der Bedrohung der inneren Sicherheit durch ein Terrorflugzeug am Himmel über Deutschland wird in der politischen Diskussion so häufig zitiert, weil er das Dilemma so deutlich macht, in das sich ein Staat begibt, der auf der Trennung von innerer und äußerer Sicherheit beharrt: Es kann vorkommen, dass Gefahren, die unter das Regime der inneren Sicherheit gelangen, nicht bekämpft werden können, weil die Rechtsregeln, die dann einschlägig sind, die Gefahrenabwehr verbieten. Im Flugzeug-Fall bedeutet das, dass unter Umständen Tausende sterben müssen, weil die Rechtsordnung verbietet, ein Flugzeug, das auf ein vollbesetztes Fußballstadion zurast, mit militärischen Mitteln vom Himmel zu schießen.
Nun soll das Szenario nicht mit dem Hinweis vom Tisch gemogelt werden, dass es extrem unwahrscheinlich ist. Aber
die Erkenntnis, dass es kaum einen denkbaren Fall gibt, in dem so ein Abschuss rechtzeitig möglich und nützlich wäre, gibt uns ein wenig
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