Der globale Polizeistaat
Überforderte
Abgeordnete - Das ungute Gefühl
Die Problematik der Abgrenzung zeigt sich zunächst nicht so sehr in der weiten Welt, sondern in der Rechtsordnung daheim. Sie liegt darin, dass es möglicherweise Fälle gibt, die zwar in den Wirkungsbereich der deutschen Rechtsordnung fallen, die aber gleichwohl nicht im Rahmen dieser Rechtsordnung gelöst werden können. Drücken wir es so aus: Fälle, in denen die Rechtsordnung uns zwingt, Risiken oder gar Schäden aus rechtlichen Gründen in Kauf zu nehmen, die aus übergeordneten Gründen nicht in Kauf genommen werden sollen oder können. Diese Idee liegt der verbreiteten Äußerung zugrunde, der transnationale Terrorismus »sprenge« die Grenzen des Rechts.
»So einen Fall gibt es nicht - jedenfalls finde ich ihn nirgends überzeugend dargelegt, noch kann ich ihn mir vorstellen«: Der das so bestimmt vertritt, ist dem Bundesinnenminister schon öfter entschlossen entgegengetreten: der Berliner Staatsrechtsprofessor und Rechtsphilosoph Bernhard Schlink, der sich neben seiner Arbeit als Autor zeitkritischer Romane ( Der Vorleser ) hinter den Kulissen erfolgreich als Verfechter des Verfassungsrechts
stark macht. Ihm schieben im Innenministerium manche das ungeliebte Luftsicherheitsurteil des Bundesverfassungsgerichts in die Schuhe, in dem die Menschenwürde auch im Falle eines terroristischen Angriffs unter absoluten Schutz gestellt wird. Ein Essay Schlinks im SPIEGEL hatte, so behaupten manche, »denen in Karlsruhe den Kopf verdreht«. Jedenfalls zeigte sich der Wissenschaftler im Nachhinein als einer der heftigsten Verteidiger des umstrittenen Karlsruher Spruchs.
Schlink ist sich so sicher, weil er der Rechtsordnung zutraut, dass sie auch zukünftig erfolgreich den Rahmen der inneren Sicherheit vorgeben kann. Das Instrumentarium des Polizeirechts und Strafrechts sei hinreichend für alle Fälle von Bedrohungen, auch terroristischer. Es gebe also keinen Grund zur rechtlichen Aufregung, und schon gar keine Probleme in der Abgrenzung von innerer Sicherheitsgewähr und Krieg: »Die internen rechtmäßigen Machtmittel des Staates haben im Vergleich zu den Aktionen Einzelner ein so überwältigendes Übergewicht, dass es für jede Bedrohung eine Lösung im Rahmen des Rechts gibt.« Und wenn es nicht um die Taten Einzelner, sondern um organisierte Gewalt geht? »Die größte und am besten organisierte Gewalt ist immer der Staat«, sagt der Professor.
Was aber, Herr Schlink, ist mit dem Fall Ganczarski?
Deutsche Ermittler belauschten am 11. April 2002 ein Telefonat, das der Duisburger Elektronikfachmann Christian Ganczarski mit dem Tunesier Nisar Nawar führte. Nisar Nawar machte darin deutlich, dass man sich wohl nie wiedersehen werde. Nur hundert Minuten später steuerte der Tunesier einen Lastwagen mit 5000 Litern Flüssiggas gegen die Ghriba-Synagoge auf Djerba. Bei der Explosion starben 21 Menschen, darunter 14 deutsche Touristen.
Ganczarski in Deutschland wurde festgenommen: Offenbar, so meinten die Ermittler zu wissen, war er ein Drahtzieher des Al Kaida zugerechneten Anschlags. Doch am folgenden Tag war der Deutsche wieder auf freiem Fuß: Schließlich war es nicht verboten, mit einem Ausländer zu telefonieren, der sich später als Attentäter entlarvt.
Die Terroristenfahnder blieben dem Mann mit den verdächtigen Kontakten allerdings auf der Spur. Alsbald entdeckten sie ein Video, das Ganczarski zeigt: mit Osama Bin Laden, mit dem Terrorpiloten von New York Mohammed Atta und einem weiteren mutmaßlichen Drahtzieher des 11. September. Also wurde Ganczarski abermals festgenommen - und wieder freigelassen, denn es ist ja nicht verboten, sich mit mutmaßlichen Terroristen filmen zu lassen.
Als der ehrenwerte Herr Ganczarski 2003 auf einer Reise auf dem Pariser Flughafen Charles de Gaulle umsteigen wollte, erwarteten ihn am Ausgang französische Polizeibeamten und verhafteten ihn. Nicholas Sarkozy, damals noch Innenminister in Frankreich, verkündete der staunenden Welt: »Ein ranghohes Al Kaida-Mitglied« sei den nationalen Fahndern ins Netz gegangen. Und in Frankreich war das Netz besser geknüpft. Ganczarski blieb in Haft. Anfang 2009 wurde er von einem Pariser Schwurgericht zu einer langen Haftstrafe verurteilt. »Irritationen«, so heißt es in der Sprache der Diplomaten, löste der Fall im deutsch-französischen Verhältnis aus. Und das nicht etwa, weil Frankreichs Polizei über notorisch stramme Rechtsvorschriften verfügt, mit denen sie einen
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