Der globale Polizeistaat
daraus nicht ziehen. Niemand kann sagen, wie Weltinnenpolitik funktionieren soll. Es gibt kein Modell, das in der Stunde der Gefahr an die Stelle einer Weltgesellschaft gleichberechtigter souveräner Staaten treten könnte. Vielmehr ist dieses Modell über die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges - eines totalen, »unwestfälischen« Krieges - hinweg gerettet worden. Die Gründung der Uno, die Bestimmungen der UN-Charta über ein völkerrechtliches Gewaltverbot, die seitdem andauernden Versuche, den Krieg als Auseinandersetzung der Staaten unter Strafe zu stellen, ja überhaupt die Schaffung eines Völkerstrafrechts mit den Nürnberger Prozessen auf Initiative der Vereinigten Staaten: all dies sind unermüdliche Versuche gewesen, die Idee des westfälischen Friedens in moderne Zeiten fortzuschreiben. Zwar kann der Sicherheitsrat als Aufsichtsgremium in der Hand der Atommächte sich im Ausnahmefall in innere Angelegenheiten eines Staates einmischen. Doch im Grunde bleibt es bei der Welt als einem Club friedliebender souveräner Staaten, die alle Möglichkeiten der Gewalt abschließend unter Kontrolle und in ihrem Monopol haben.
So wird die Not der Staatsmänner und der Staatsdenker nachvollziehbar, die nun über den staatlichen Ausnahmezustand nachdenken. Schäubles Analyse ist kaum zu widersprechen: »Der Terrorismus ist die neue Austragungsform gewalttätiger Konflikte.« Was also soll man als Innenminister tun?
Amerika sucht seinen Weg aus dem Dilemma: Es hat die Politik der multilateralen Problemlösung in einer symmetrisch organisierten Staatenwelt schon lange verlassen und ist den imperialen Weg der Einseitigkeit gegangen. Die Neigung hierzu findet man schon bei den Gründervätern: Lange genug, drohte Alexander Hamilton, einer der Autoren der US-Verfassung, habe der exklusive Club der europäischen Staaten seine Gesetze zu den Regeln der Welt gemacht - »Afrika, Asien und Amerika haben nacheinander seine Herrschaft zu spüren bekommen.« Nun sei es an der Neuen Welt, »die Ehre der menschlichen Rasse zu verteidigen«. Der Amerikaner, der heute noch auf jeder Zehn-Dollar-Note zu sehen ist, forderte die damals 13 US-Staaten zu Einigkeit auf, dann sei der Weg zur Weltmacht nicht mehr weit - dann sei es an Amerika, »die Bedingungen zu diktieren, unter denen sich alte und neue Welt verbinden« 6 . So stand es 1788 in den Federalist Papers, einer Reihe von Propagandaschriften für die neue Verfassung der Neuen Welt - 140 Jahre nach dem Westfälischen Frieden im alten Europa. Schon damals wurde deutlich, dass die Friedensordnung des Clubs auf der alten Seite des Atlantiks eine sehr exklusive Gesellschaft betraf - dass die europäischen Staatsdenker der beginnenden Neuzeit ihre Rechnung ohne den Rest der Welt gemacht hatten.
Im Prinzip hat sich an diesem Missverständnis bis heute nichts geändert. Robert Kagans Amerikabild ist davon geprägt: »Die Tendenz zum Unilateralismus, das Misstrauen gegenüber internationalen Institutionen, das eifersüchtige Festhalten an der nationalen Souveränität, die verstärkte Neigung, weltpolitische Probleme unter Einsatz von militärischer Gewalt zu lösen, aber auch die noble Großzügigkeit und die Wahrnehmung aufgeklärten
Eigeninteresses, die dazu führen, dass Amerika in die Welt hinauszieht, um anderen zu helfen - diese Eigenheiten der amerikanischen Außenpolitik wurden von der Regierung Bush nicht erfunden und werden sich nach ihrem Abtreten nicht in Luft auflösen.«
Die staatliche Souveränität hochhalten - aber nur die eigene. Auf diese kurze Formel lässt sich das US-Rezept gegen die Gefahren des globalen Terrors bringen. Die Supermacht, die ihre Hauptstadt überall mit römischen Säulen verziert hat, bevorzugt das imperiale Konzept, wie es seit dem Aufstieg des antiken Roms bekannt ist. Und sie kann für sich immerhin in Anspruch nehmen, im Kampf ganz vorn zu stehen. Unter Führung des amerikanischen Imperiums ist die Nato in den »Krieg gegen den Terror« gezogen -»die Europäer«, spottet Kagan, »waren ganz und gar nicht begeistert«. Aber mitmachen müssen sie trotzdem. Und auch die globale Polizeiarbeit gegen Terroristen ist zentral durchs Imperium zu managen. Der New York Times -Reporter Eric Lichtblau hat kürzlich enthüllt, wie Geheimdienstcomputer auf persönliche Anweisung des US-Präsidenten jahrelang den Welttelefon- und Internetverkehr auf verdächtige Wörter filzten. Das war ganz einfach: Die meisten internationalen Telekomverbindungen
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