Der globale Polizeistaat
Frankfurt ankommen, müssten deutsche Kripostellen eigentlich ständig auf der Lauer liegen. In der Hast der Gesetzesschmiede gelang hier nach heftiger Auseinandersetzung zwischen Bundestag und Bundesrat ein wahrhaft großer Wurf: Nicht nur der Terrorismus, nahezu jede Straftat, die irgendwo auf dem Erdball einer Bande von Bösewichten jeder Art zuzuordnen ist, mehr noch, jeder Erdenbürger, der sich einer solchen Bande, die irgendwo auf der Welt Böses plant, anschließt oder sie auch nur unterstützt, gerät so ins Visier deutscher Staatsanwälte.
Der Wortlaut des Paragrafen 129b ist derart wirr und unverständlich, dass er hier nur als Fußnote dem speziellen Interesse anheimgegeben werden soll. 19 Dass diese Vorschrift viel zu weitgehend und darum für jeden ehrbaren Strafrechtler blanker Unfug ist, sagt auch der erfahrene Richter am Bundesgerichtshof Thomas Fischer. Im renommierten Praktikerkommentar des Beck Verlages schreibt er: Die Vorschrift »steht unter dem Verdacht einer praktisch bedeutungslosen ›Symbol‹-Verlautbarung«. Denn dass sich Deutschland mit diesem Gesetz zum Anwalt »der öffentlichen Sicherheit einschließlich des allgemeinen Rechtssicherheitsgefühls auf der ganzen Welt« gemacht habe, »mag als sicherheitspolitische Formel akzeptabel sein, gibt jedoch keine Orientierung für die Verfolgungspflicht deutscher Strafverfolgungsbehörden«: Eine solche Kritik im Standardhandbuch deutscher Richter und Staatsanwälte ist ungewöhnlich.
Und auch der Gesetzgeber selbst mag gemerkt haben, dass er der Justiz etwas aufbürdet, das diese nicht schultern kann. Darum wird der Auftrag an die Staatsanwälte im zweiten Teil des Paragrafen auch gleich wieder eingeschränkt: Fälle, die zu weit weg liegen, werden »nur mit Ermächtigung des Bundesministers der Justiz verfolgt«. Das Ministerium »zieht in Betracht«, so heißt es
im Gesetz weiter, »ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind und bei der Abwägung aller Umstände als verwerflich erscheinen«. Der Hintergrund dieser Formulierung: Es sollen Befreiungsbewegungen in den Unterdrückerstaaten dieser Welt von der deutschen Strafverfolgung verschont bleiben. Wo die Befreiungsbewegung aufhört und die terroristische Vereinigung beginnt, hat ein Ministerialbeamter im fernen Berlin zu entscheiden. Was, liebe Bundesregierung, ist mit den gewalttätigen Tibetern, die gegen Chinas Menschenrechtspolitik randalieren? Befreiungsbewegung oder Terror? Schicken wir einen Staatsanwalt zum Dalai Lama, weil er die wilden Mönche unterstützt? Vielleicht sollte man vorher ja nicht den Justizminister, sondern den Außenminister fragen. Und wenn man schon fragt, sollte man auch gleich die Frage klären, wie das mit Tschetschenien war und mit Russland. War der Aufstand der Tschetschenen eine Befreiungsbewegung? Dann war die gewaltsame Niederschlagung durch Russlands Wladimir Putin ein Verbrechen. Sollte man also einen Staatsanwalt in den Kreml, die Zentrale dieser kriminellen Vereinigung, schicken? Oder lieber warten, bis Putin das nächste Mal die Bundesrepublik besucht?
Der Versuch, den Terrorismus mit der Strafrechtsvorschrift 129b zu bekämpfen, führt nicht nur zu »abwegigen« (Fischer) Ergebnissen, er ist erschreckendes Zeugnis dafür, wie ein überforderter Staat das Strafrecht für Zwecke missbraucht, die mit Schuld und Sühne nichts mehr zu tun haben. Allein die Formulierungen über das, was ein Justizminister zu erwägen hat, sind eines rechtsstaatlichen Strafgesetzes unwürdig: Ob »Bestrebungen gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung gerichtet sind«, hat mit Recht nichts zu tun, das ist reine Politik im Sinne Carl Schmitts: Wer Feind ist, wird autoritär entschieden, da gibt es nichts zu rechten. 20
Offener hat - von dunklen Zeiten zwischen 1933 und 1945 einmal abgesehen - nie zuvor ein deutscher Strafgesetzgeber
deutlich gemacht, dass er aufs Strafrecht pfeift, dass es in Wahrheit um etwas ganz anderes geht: Mit dieser Vorschrift bekommt es die Bundesregierung und auf ihr Kommando jeder deutsche Staatsanwalt und auf dessen Kommando jeder deutsche Polizist in die Hand, gegen nahezu jeden beliebigen Bürger auf der Welt ein Strafverfahren zu eröffnen. Mag auch die dann fällige Dienstreise - auf welcher Rechtsgrundlage eigentlich? - niemals genehmigt werden, mag auch der
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