Der globale Polizeistaat
Khan und seine mutmaßlichen Mittäter vom Vorwurf der gemeinschaftlich geplanten Flugzeugsprengungen freigesprochen. Der Massenmord, der rund um den Globus für antizipiertes Entsetzen gesorgt hatte, war aus der Sicht der Jury zwar möglich - aber nicht hinreichend bewiesen.
Die Angeklagten hatten standhaft behauptet, sie hätten niemals vorgehabt, Bombenstoff an Bord eines Flugzeuges zu bringen, geschweige denn, dort eine Explosion auszulösen. Und sie führten dem Gericht, ja, der ganzen Weltöffentlichkeit vor, wie machtlos eine Rechtsordnung ist, die gewissenhaft mit Begriffen wie »Verdacht« und »Beweis« umgehen will. Die Bomben, erklärten sie, seien recht harmlos und nur dazu gedacht gewesen, im Flughafen ein bisschen herumzuknallen und die Leute zu erschrecken, so eine Art gewalttätiger Demonstration. Und
die Märtyrervideos? Sollten ebenfalls nur den Engländern einen Schreck einjagen, zur Strafe für die Teilnahme am Irakkrieg. Ja, aber der Datenstick mit den Flugdaten? Man wird ja wohl mal eine Amerikareise planen dürfen, ohne gleich als Terrorist verhaftet zu werden.
56 Stunden lang, die Richter haben auf die Uhr geguckt, stritt die Jury über die Frage, ob die Beweise für den geplanten Massenmord ausreichten. Ob es wirklich sein könne, dass die Beweise, die der immerhin größte Einsatz in der Geschichte von Scotland Yard ans Licht gebracht hatte, nicht ausreichen, diese offenkundig frechen Lügen der Angeklagten zu widerlegen. Das Verhalten der Männer und Frauen des hohen Gremiums war zugegeben angetan, weltweit Kopfschütteln über diese verrückten Briten auszulösen. So unterbrachen sie zum Ärger des Gerichts ihre Beratungen wochenlang, um in Urlaub zu gehen. Weitere Unterbrechungen wurden nötig, weil einer der Männer sich im Krankenhaus einer Notfallbehandlung unterziehen musste: Er war beim Spiel auf einen Golfball getreten.
Ja, das scheint absurd, aber an der Logik der Jury kommt der Krieg gegen den Terror dennoch nicht vorbei: Nicht alles, was Terrorbekämpfer für möglich, sogar für sehr wahrscheinlich halten, ist rechtlich beweisbar. Die Briten haben schließlich nicht nur berühmte Golfspieler und tolle Videosysteme, sondern auch berühmte Philosophen wie Sir Karl Popper vorzuweisen, dessen größtes Vermächtnis darin besteht, den Unterschied zwischen wahrscheinlich und sicher erklärt zu haben.
Sicher sei nur, befand die Jury, dass Khan und seine Freunde etwas vorhatten, das im unglücklichsten Fall wahrscheinlich Menschenleben gekostet hätte, ob am Boden oder in der Luft. Für langjährige Gefängnisstrafe, dies zum Trost, reichte es ja auch so. Und doch bleibt ein Gefühl der Machtlosigkeit: Muss man es hinnehmen, dass Leute, die ganz offenkundig in Terror schlimmster Art verstrickt sind, so einfach davonkommen? Hätte man wirklich, um das geplante Unheil beweisen zu können, warten müssen, bis die Männer mit ihren Flaschen die Flugzeuge
bestiegen hätten? Wäre das nicht viel zu riskant gewesen? Wäre man dann noch sicher gewesen, dass nicht zugleich an anderer Stelle eine andere Gruppe schon gestartet ist?
Wie allfällig das Problem ist, zeigen die Zahlen: Unter dem scharfen britischen Terrorism Act , der schon im Jahr 2000 in Kraft trat, wurden bis zum Sommer 2008 insgesamt 1165 Personen verhaftet. Gut die Hälfte musste ohne weiteres wieder freigelassen werden, rund 100 Strafverfahren sind anhängig, nur 41 Personen wurden bisher verurteilt. Eine Untersuchung aus Amerika zeigt, dass dort das Strafrecht ebenfalls in krassem Missverhältnis zu den Befürchtungen der Terroristenjäger steht: Von September 2001 bis März 2007 meinte die Justiz, 1391 Personen als »internationale Terroristen« gefasst zu haben. 21 32 von ihnen wurden zu einer Haftstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt. »Vor den Gerichten«, urteilt Newsweek angesichts des Desasters mit den Flüssigbombern, »ist der Krieg gegen den Terror zurzeit nicht zu gewinnen.«
»Was soll ich denn machen, in dieser Situation?«
Die präventive Wende - Es geht nicht darum, das letzte Attentat
zu verhindern, sondern das nächste - Ein Polizist kommt auch
zu spät - Die Säulen des Rechtsstaats - Friede auf Erden oder
Ruhe im Dorf?
Einer hat schon lange gemerkt, dass es so nicht weitergeht: Der deutsche Innenminister. Wolfgang Schäuble ist offenkundig nicht nur darüber unglücklich, dass alles, was mit Strafverfolgung zu tun hat, nicht seinem Kommando untersteht, sondern - wie auch in Paragraf 129b -
Weitere Kostenlose Bücher