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Der globale Polizeistaat

Der globale Polizeistaat

Titel: Der globale Polizeistaat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Darnstädt
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Vereinigung unterstützt oder für sie wirbt. Solche »Organisationsdelikte« lassen es zu, den Kreis der Personen, gegen die ein Strafverfahren wegen Terrorverdachts eröffnet wird, erheblich zu vergrößern. Die »Unterstützung« etwa sieht als Höchststrafe zehn Jahre Haft vor - aber um die Strafe geht es gar nicht, es geht um das Verfahren. Wer - als Demonstrant, als Journalist, als Rechtsanwalt, als Teilnehmer eines Computerspieles wie World of Witchcraft - absichtlich oder versehentlich zu nahe an einen Terroristenzirkel gerät, kommt dank dieser Vorschrift automatisch ins Visier des Generalbundesanwalts, Abteilung Terrorismus, und der verfügt über alle Folterinstrumente des Krieges gegen den Terror: Hausdurchsuchung, Telefonabhören, Computerspionage, beobachtende Fahndung, schließlich Untersuchungshaft. Jahrelang lassen sich solche Verfahren betreiben.
    Der weiteren Ausdehnung der Strafbarkeit dient auch der Versuch, den Besuch von Terroristencamps unter Strafe zu stellen. Darüber verhandelte die Große Koalition im Winter 2008 - und auch hier geht es nicht um Strafe, sondern allein um die Machtmittel des strafenden Staates: Islamisten sollen künftig schon bei der Ausreise an der deutschen Grenze verhaftet werden können. Selbst über die Grenzen des Gewaltstrafrechts hinaus gibt es Strategien der Vorfeldkriminalisierung. So wurde noch unter der Rot-Grünen Koalition das Versammlungsrecht verschärft: Niemand machte einen Hehl daraus, dass es nicht um bessere Ordnung bei Demonstrationen ging, sondern um die erweiterte Möglichkeit, bei Verstößen gegen die Versammlungsordnung die Verletzung der zugleich erlassenen Strafvorschrift zu konstatieren und gegen unliebsame Demonstranten ein Strafverfahren zu eröffnen, in dessen Rahmen dann deren »Gewaltbereitschaft« geklärt wird. 14
    Zum Objekt des Strafverfahrens wird so nicht nur jeder Akteur im Dunstkreis des Terrors, sondern - gemäß der Strafprozessordnung - jeder, gegen den ein Verdacht besteht, er könnte so jemand sein. Für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens
muss dabei nicht etwa ein Verdacht vorliegen, wie er zur Erhebung einer Anklage oder gar zur Verurteilung benötigt würde, es reicht in der Regel der »Anfangsverdacht« einer Vorfeldtat.
    Die Gefahr, zum Opfer eines strafprozessualen Verfahrens zu werden, ist also groß, die Konsequenzen sind unabsehbar. Wer einmal eine Akte hat, landet in den einschlägigen Dateien der Terroristenjäger. Die Antiterrordatei des Innenministers ist so ein Beispiel. Da werden nicht Terrorverdächtige gesammelt, sondern auch Personen, die verdächtigt werden, Terrorverdächtige zu unterstützen, und Personen, die verdächtigt werden, Personen zu unterstützen, die verdächtig sind, Terrorverdächtige zu unterstützen. Und natürlich Personen, die möglicherweise Informationen über solche Personen haben. 15
    Solche Dateien werden aufgrund internationaler Absprachen weltweit weitergegeben, denn die Strafverfolgung von Terroristen ist eine globale Angelegenheit. Das alte Urvertrauen der 68er, der Staat sei von den wilden Datenmülldeponien ohnehin überfordert, niemand könne das auswerten, ist mittlerweile nicht mehr durchgehend berechtigt: Die Vereinigten Staaten arbeiten mit Computern, die in der Lage sind, 1,6 Millionen Datensätze von jedem Bürger auf der Welt zu speichern, zu sortieren und wiederzuerkennen. 16 Da wundert man sich nicht, wenn größere US-Fluglinien jeden Tag 9000 Passagiere als potenzielle Terroristen diskret zur Seite bitten 17 und die Terror-Watchlist der Vereinigten Staaten 2008 um monatlich etwa 20 000 Namen wuchs. Das ist keine Terrorhysterie, das ist das System eines weltweit zweckentfremdeten Strafrechts.
    Dass dabei zwar nicht den Computern, wohl aber dem Rechtsstaat die Orientierung abhandengekommen ist, zeigt sich auch in Deutschland. Nach langem Zögern wurde nach dem 11. September 2001 der Paragraf 129a auf Veranlassung der Europäischen Union um einen Paragrafen 129b ergänzt: Dieser bedroht jeden mit Strafe, der sich zu kriminellen Zwecken einer Vereinigung irgendwo auf der Welt anschließt. Die Zuständigkeit der deutschen Ermittler kann zum Beispiel schon dadurch begründet
werden, dass ein Opfer irgendeiner der Straftaten, zu deren Begehung man sich am anderen Ende der Welt vereint hat, später einmal deutschen Boden betritt. 18 Da ständig irgendwo auf der Welt Böses geschieht, dessen Opfer mit großer Wahrscheinlichkeit auch mal auf einem Flughafen wie

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