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Der globale Polizeistaat

Der globale Polizeistaat

Titel: Der globale Polizeistaat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Darnstädt
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Heimat nach Plettenberg. Und sie bot dem Wissenschaftler vor Ort mit Akten über den blutigen Bürgerkrieg, aus dem Franco als Sieger hervorgegangen war, hinreichend Anschauungsmaterial dafür, was passiert, wenn gewalttätige Rotten die staatliche Souveränität von innen her zerstören. Allein der Franco-Gast Carl Schmitt verfolgte den Faden innerer Feindschaft viel weiter zurück, bis in die Zeit Napoleons.
    Schon damals, entdeckte Schmitt, hat sich auf der Iberischen Halbinsel zugetragen, was mit dem Westfälischen Staatenmodell überhaupt nicht vereinbar schien: Mit Guerrillatruppen wehrten sich die Spanier gegen die Besetzung des Landes durch den französischen Welteroberer. Und ein empörter Brief über das Maß an Feindschaft, das Souverän Buonaparte gerade aus einem Gebiet entgegenschlug, das er eigentlich als sein Inland betrachtete, kommt einem im Ton irgendwie vertraut vor: Die aufsässigen Spanier, schrieb der siegreiche Franzose am 2. Dezember 1811 an seinen Hamburger Generalgouverneur, seien »ein meuchelmörderisches, abergläubisches, von 300 000 Mönchen irregeführtes Volk«. 32 Haben wir Ähnliches nicht erst kürzlich über die afghanischen Taliban gehört? Die Entrüstung Napoleons macht jedenfalls deutlich, dass es um unser Thema geht: Hier wird ein Inhaber der Staatsmacht nicht fertig mit einem nichtstaatlichen Feind, der die von ihm für verbindlich erklärte Ordnung von innen bedroht.
    Die »irregulären Kämpfer« - auch dieses Wort benutzte Carl Schmitt -, die hier erstmals die Szene des Staatsrechts betreten, sind auch in der Analyse Schmitts aus der Mitte des 20. Jahrhunderts ein Bruch mit der »Logik des klassischen europäischen Kriegsrechts, das Militär und Zivil, Kombattanten und Nichtkombattanten unterscheidet, und das die seltene moralische Kraft aufbringt, den Feind nicht als solchen für einen Verbrecher zu erklären« - sondern als gleichberechtigten Gegenüber eines völkerrechtlich immer weiter geregelten Duells unter Souveränen. Schmitts Partisan »erwartet vom Feind weder Recht noch
Gnade«. Vielmehr habe er sich, so Schmitt, »von der konventionellen Feindschaft des gezähmten und gehegten Krieges abgewandt und in den Bereich einer anderen, wirklichen Feindschaft begeben, die sich durch Terror und Gegenterror bis zur Vernichtung steigert«. Terror gegen Terror: Der Staat verliert im Kampf gegen Partisanen die Fasson, er verwandelt sich - würde man heute sagen - vom Rechtsstaat zum Terrorstaat. Entsprechendes hat offenbar Napoleon gemeint, als er - wie es heißt - 1813 einem General befahl: »Mit Partisanen muss man als Partisan kämpfen.« 33
    Auch ohne Internet verbreitete sich damals alles, was der kleine gefährliche Franzose sagte, blitzschnell über den Kontinent. So avancierte Napoleons Anerkennung des inneren Feindes bald im Staatsrecht Preußens. Zur Abwehr Napoleons, so hieß es in einem königlich preußischen Edikt vom April 1813, sei jeder Staatsbürger verpflichtet, sich dem eindringenden Feind mit Waffen aller Art entgegenzustellen - als da wären Beile, Heugabeln, Sensen, Schrotflinten (Paragraf 43). Keiner Anordnung des siegreichen Feindes dürfe gehorcht werden, selbst »Ausschweifungen zügellosen Gesindels« waren gesetzlich willkommene Ausprägungen staatsbürgerlichen Partisanentums.
    Dieses Edikt, es war nur kurz in Kraft, ist für Staatstheoretiker eine Delikatesse. Was war da los? Ein Staat ruft zum Partisanentum, zum Terror, auf? Und ausgerechnet der preußische, jener Staat, der als Erfinder des streng geordneten »gehegten« Vorgehens gegen den Feind galt? In Panik wendet sich der Staat vom Rechtsstaat zum Terrorstaat, trägt selbst den Krieg ins eigene Land - in der Annahme, es werde bald nicht mehr das eigene sein. Herrscht erst Napoleon in Preußen, wandelt sich Gesindel zu Widerstandskämpfern, zu Partisanen.
    Der Spanische Bürgerkrieg, 1936 bis 1939, der brutale Kampf zwischen Bürgern um die Macht im Staate, mitten im Herzen Europas ausgetragen, war bis dahin das blutigste Lehrstück über die Aufstände der Neuzeit - es war ein Krieg mit Bomben und 270 000 Toten, bis zum heutigen Tag hat sich das Land von der
Feindschaft, in der es damals versank, nicht erholt: Die Versuche der Justiz, die Verbrechen des inneren Krieges von damals als »Kriegsverbrechen« aufzuarbeiten, wurden auch im Jahr 2008 von konservativen Kräften Spaniens hysterisch bekämpft. In den Buchhandlungen in aller Welt aber steht noch immer das Werk jenes jungen

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