Der globale Polizeistaat
jedem Bankkonto, Krankenbericht oder Businessplan ohne Kenntnis der Betroffenen bekommen sollte.« Nun aber, nach dem 11. September 2001, hatte sein Chefjurist genau dies für zulässig erklärt. »The rules of engagement have changed«, erklärte der Justizminister später resigniert.
Im Kampf gegen den Feind galten neue Regeln. Da gab es kaum noch Widerstand im Kongress gegen Bushs Patriot Act , der es dem FBI erlaubte, ohne konkreten Verdacht Hunderttausende zu bespitzeln, Listen aller unliebsamen Bürger wie Kriegsgegner, Tierschützer, Schwulenverbände, Friedensdemonstranten oder Regierungskritiker anzulegen. Schließlich wurden sämtliche Reisen aller US-Bürger registriert. Um die Unterlagen zu vervollständigen, verschickte das FBI bis zu 30 000 National security letters pro Jahr. Ein solcher Brief verpflichtete jeden Empfänger,
unverzüglich Auskunft über sämtliche Privatangelegenheiten, Vermögensverhältnisse und Unternehmensdetails zu geben. Darüber zu reden, war bei Strafe verboten, Rechtsschutz ausgeschlossen.
Weil ja, wie nun alle wussten, der Kampf gegen den Terrorismus eine Sache der nationalen Verteidigung war, fühlte sich neben dem FBI und dem Heimatschutzministerium auch das Pentagon zuständig: In den Krieg gegen den Terror zogen Tausende Agenten der militärischen Abwehr, sie bekamen - gegen den Willen des Kongresses - ihr eigenes Recht, security letters zu verschicken, Firmen zu filzen, die sie für terrorismusgefährdet oder terrorismusgefährlich oder irgendwie relevant für die nationale Sicherheit hielten. Weil Militärs über unbegrenzte technische Ressourcen verfügen, ließen sie ein Überwachungsprogramm entwickeln, das den entlarvenden Namen Total Information Awareness trug. Wer seine Arbeit so offen beim Namen nennt, bekommt selbst im Polizeistaat Ärger: Der Kongress stoppte die weitere Verfolgung der totalen Idee.
Das sollte nicht noch mal passieren, darum blieb Bushs wichtigstes Antiterrorprogramm jahrelang so geheim, dass nur ein Vertrauensgremium von acht Kongressmitgliedern mündlich von Zeit zu Zeit informiert wurde - niemand durfte sich Notizen machen. Es ging um die totale Überwachung der weltweiten Telekommunikation. Auch das NSA-Programm, das schließlich zu dem Showdown im George-Washington-Hospital führte, rechtfertigte das Weiße Haus mit den Gutachten des findigen Professor Yoo.
Die Aufrüstung der schon immer weltweit herumschnüffelnden NSA zum Big Brother der globalen Kommunikation begann, als Überwachungstechniker des Geheimdienstes bald nach den Attentaten von New York und Washington auf Datenschnipsel eines routinemäßig mitgeschnittenen Auslandstelefonats vom 10. September 2001 stießen. Von einem Münztelefon in Afghanistan aus sagte eine Stimme auf Arabisch: »Morgen ist Stunde null.« Die Stimme am anderen Ende antwortete: »Das
Spiel beginnt morgen.« Zwei Tage später erst hatte jemand die Zeit gefunden, das Telefonat ins Englische zu übersetzen. Da war es zu spät.
»Don’t ever let this happen again«: Nie wieder durfte so etwas durchrutschen. Die Konsequenz war klar: Alle Kommunikation aus dem Ausland, die über amerikanischem Boden lief oder hier endete, musste aufgefangen, aufgezeichnet, von leistungsfähigen Computern durchkämmt werden. Und das war eine ganze Menge. Denn der Leistungsfähigkeit der amerikanischen IT-Unternehmen ist es zu verdanken, dass der größte Teil der weltweiten digitalen Kommunikation über Knotenpunkte auf amerikanischem Boden läuft. Und die Bush-Administration sah sich befugt, an den Patriotismus der Unternehmen zu appellieren, möglichst auch die Datenströme der Tochterfirmen in aller Welt über die US-Zentralen umzuleiten - kost’ ja nix. Unter staatlichen und privaten IT-Technikern entstand so ein Slogan, der wie für die Fernsehwerbung anschaulich machte, was da passierte. »We vacuum up the world’s information.«
Die Kapazität der Datenspeicher reichte aus, sich im Detail mit dem Datenverkehr eines Arztes aus Kentucky zu beschäftigen, der sich besonders als Facharzt für Urologie hervorgetan hatte. Das war verdächtig - einfach, weil Osama Bin Laden, wie jeder Geheimdienstler weiß, Nierenprobleme hat. Der Nachteil eines so perfekten Überwachungsprogramms liegt gerade darin, dass es auch Harmloses verdächtig erscheinen lässt. Und das kann manchmal unnötige Komplikationen auslösen. So zum Beispiel im Dezember 2003, als das Heimatschutzministerium vom Geheimdienst Alarmierendes erfuhr: Al
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