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Der globale Polizeistaat

Der globale Polizeistaat

Titel: Der globale Polizeistaat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Darnstädt
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formulieren, das polizeiliches Vorgehen gegen jede »terrorgeneigte« Person vorsieht. Denn die terroristische Neigung lässt sich, bevor sie sich katastrophal manifestiert, nicht objektiv feststellen. Dass die Polizeibehörden gleichwohl genau darüber Bescheid zu wissen meinen, wer »Gefährder« ist, ist allein dem rechtlich nicht relevanten Bauchgefühl von Geheimdienstlern zu verdanken.
    Denn das unterscheidet Schlapphüte und Mützenträger: Die Agenten des Bundesnachrichtendienstes oder des Verfassungsschutzes haben kaum je ein Gesetz anzuwenden. Sie dürfen ohne konkreten Verdacht Personen hinterherspionieren, detaillierte Ermächtigungsgrundlagen braucht es dazu grundsätzlich nicht. Sie beobachten, wie es heißt, »die Szene«. Wenn man um die Hamburger Al Kuds-Moschee streicht, wo auch der Flugzeugentführer Mohammed Atta lange vor dem 11. September 2001 verkehrte, kann man beobachten, wer aus der Islamszene sich mit wem trifft, wo er seinen Tee trinkt und in welchen Internetcafés er verkehrt. Kaum ein Agent des Hamburgischen Landesamtes für Verfassungsschutz versteht zwar, was in der Szene auf Arabisch gesprochen wird, aber man bekommt doch einen Eindruck, was die Leute so treiben. Das ist nicht besonders effektiv, aber führt doch gelegentlich zu Querverbindungen zu Personen, die man schon kennt, weil sie wiederum Verbindungen zu Personen haben, von denen ein befreundeter Dienst meint, dass sie gefährlich sind. In geheimdienstlicher Beobachtung hat niemand etwas Rechtsstaatswidriges gesehen, so lange die Geheimen nicht in die Grundrechte ihrer Opfer eingriffen. Geheimdienstler galten als ungefährlich, weil sie niemanden verhaften und niemanden erschießen durften. Je stärker sich einerseits die Ansicht durchsetzte,
dass auch das heimliche Sammeln von Informationen über Individuen ein Grundrechtseingriff sein kann, je stärker andererseits die Dienste immer empfindlichere Eingriffe in immer sensiblere Sphären der Grundrechtsträger vornahmen, desto stärker wurden die schlimmeren Formen der Schnüffelei an gesetzliche Voraussetzungen gebunden. Beobachten durften Verfassungsschützer schon stets, wen sie für einen Feind hielten, rechtlich problematisch wurde dies jedoch, als sie versuchten, ohne gesetzliche Grundlage Trojaner auf die Festplatten ihrer inländischen Klientel zu versenden.
    Von den Schlapphüten lernen heißt siegen lernen. Da im Sinne des »erweiterten Sicherheitsbegriffs« auch die Polizei wissen muss, wer zum Feind gehört, können nicht nur die Waffen, sondern auch die rechtlichen Voraussetzungen ihrer Anwendung zusammengeworfen werden. Das Polizeirecht vollzieht zurzeit nach, was das Recht der Geheimdienste seit Langem entwickelt hat. Das ganze Instrumentarium der Schnüffelei, Lauschangriff und Telefonüberwachung, Computerspionage und »beobachtende Fahndung«, wird - beispielsweise im novellierten BKA-Gesetz - zur polizeilichen Terrorabwehr eingesetzt. Mit solchen Instrumenten wird auch die Sicherheitsphilosophie der Schnüffelei in die robusten Bereiche des Staates übertragen. Die Handlungsvoraussetzungen der Dienste, großzügig genug, um anlassunabhängig Personen hinterherspüren zu können, dienen so dazu, die Terrorfahndung der Polizei zu steuern. Und weil es ja sowieso gegen denselben Feind geht, landen die Informationen der Polizei und der Geheimdienste mittlerweile in gemeinsamen Dateien, die der Innenminister mit der Begründung »integrierter Ansätze« schon angelegt hat.
    Die Entkoppelung des Rechts von der Realität wird komplettiert durch immer neue flächendeckende Beobachtungsbefugnisse: Rasterfahndung ist, wie es der Polizeirechtsprofessor Wolfgang Hoffmann-Riem ausdrückt, ein Vorgehen gegen einen Verdächtigen, »von dem man gar nicht weiß, ob es ihn gibt«: Verdachtsgewinnung ist der Fachausdruck dafür. Routinemäßig
werden von Erkennungssystemen auf Autobahnen die Kennzeichen vorbeifahrender Autos gescannt: So ein Instrument, flächendeckend eingesetzt, würde die Totalüberwachung des Autoverkehrs ermöglichen. Videokameras überwachen öffentliche Plätze und Bahnhöfe. Polizeiliche Eingriffe, die sich unterschiedslos gegen jeden Bürger richten, werden oft als unbedenklich betrachtet, weil sie kaum oder gar nicht spürbar sind. Doch hier ist es das Prinzip, das interessiert: Die Loslösung des Staates von der Bindung an die Realität - damit auch von der Notwendigkeit, zu begründen oder gar zu rechtfertigen, was des Staates Diener tun. Es ist das

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