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Der globale Polizeistaat

Der globale Polizeistaat

Titel: Der globale Polizeistaat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Darnstädt
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hier angeblich regelmäßig Verschwörertreffen ab, gewaltbereite Gotteskrieger aus aller Welt, so heißt es, finden hier Aufnahme und Entspannung. Geheimdienstagenten beobachten das bunte Heiligtum unter großem Aufwand seit Jahren. Wer kennt hier wen? Wer kommt? Wer geht? Wer hat Kontakte zu Gefährdern? Entsteht hier eine Terrorzelle? Die Schlapphüte wollen alles im Blick haben.
    Youssef al-Hajdib ist ihnen trotzdem nicht aufgefallen. Der junge Mann kam aus dem Libanon und wohnte erst in einem Islamzentrum in der Nähe. Dann zog er nach Kiel, weil er Maschinenbau
studieren wollte. In seiner Studentenbude prangte das prächtige Poster der größten und schönsten Moschee der westlichen Welt, der Imam-Ali-Moschee.
    Es ist ja nicht verboten, sich so ein Plakat in die Bude zu hängen oder mit ordnungsgemäßem Studentenvisum in Kiel zu lernen. Wie also hätte der junge Youssef auffallen sollen? »Unterer Bereich des Verdachtsrasters« - so ist im Nachhinein die Diagnose in den Dossiers der Terrorismusexperten, die sich schon bald sehr genau mit dem 22-jährigen Mann aus dem libanesischen Dörfchen Iyat beschäftigen mussten.
    Denn am 31. Juli 2006 stand Youssef, beobachtet nur von einer Videokamera, an Gleis 3 des Kölner Hauptbahnhofs. Der junge Mann mit langen dunklen Haaren, im Trikot Nr. 13 der deutschen Nationalmannschaft, wartete scheinbar gelassen auf den Zug. Seinen Treckingrucksack hatte er auf einer Bank abgelegt, neben ihm sein dunkler Rollkoffer. Als der Regionalexpress 12519 nach Koblenz hielt, wuchtete er den Trolley in den Waggon. Ein Reisender unter Reisenden.
    In dem schwarzen Koffer hatte Youssef zwei große Stahlflaschen, gefüllt mit elf Kilo Flüssiggas, Plastikflaschen mit Benzin, eine Zündvorrichtung aus Wecker und Draht. Einen ähnlichen Koffer mit gleichem Inhalt deponierte Youssefs Komplize zugleich in einem Zug nach Hamm. Um 14: 30 Uhr sollten die Zünder zwei gewaltige Detonationen auslösen, Dutzende hätten durch herumfliegende Splitter und berstende Waggonteile getötet werden können, ein Inferno wie zwei Jahre zuvor in Madrid.
    Dass es dann nur ein leises Klicken in den von ihren Besitzern zurückgelassenen Koffern gab, dass die Gepäckstücke am Zielbahnhof zunächst als Fundstücke behandelt und ihr explosiver Inhalt erst später entdeckt wurde - dies alles ist nur einem »handwerklichen Fehler« (Polizei) der beiden Täter zu verdanken, dem rätselhaften Umstand, dass sie entgegen der Bauanleitung im Internet ihren Höllenmaschinen keinen Sauerstoff beigegeben hatten. Die Täter wurden schnell gefasst, sie sind mittlerweile
verurteilt. Doch die Aufnahmen der Überwachungskameras sind zum Sinnbild der Hilflosigkeit gegen das unfassbare Böse geworden. »Bis zur Tatausführung«, heißt es in einem vertraulichen Bericht des BKA, »lagen keine polizeilichen Erkenntnisse zu den mutmaßlichen Attentätern vor«. Zwar verkehrte Youssef ganz offen in islamistischen Kreisen, zwar kannte er natürlich auch Stammkunden der Imam-Ali-Moschee, doch, so das BKA: »Die bisherigen Kriterien zum Erkennen potenzieller Täter haben diesen Personenkreis nicht erfasst.«
    »Don’t ever let this happen again«: Der Schock bei den Ermittlern saß nicht weniger tief als die Erkenntnis der Amerikaner, dass sie von den Vorbereitungen des 11. September 2001 nichts gemerkt hatten. Das Beinaheattentat von Köln brachte auch über Deutschland die präventive Wende. Hatten bisher die Ermittler noch versucht, das geltende Polizei- und Strafrecht bis an seine Grenzen auszunutzen, um der Gefahr Herr zu werden, begannen nun die Strategen der inneren Sicherheit im Geheimen alle Zäune niederzureißen, die der gewaltenteilige Rechtsstaat zum Schutze der inneren Sicherheit errichtet hatte. An die Stelle des »Wir dürfen« trat für die Verantwortlichen der Gefahrenabwehr nun ein »Wir brauchen«.
     
    Wir brauchen: »Ob wir es wollen oder nicht, wir kommen nicht umhin, das traditionelle Polizeirecht zugunsten eines umfassenderen Vorfeldkonzepts aufzulösen. Wir werden auch in starkem Maße Grenzverwischungen zwischen Gefahrenabwehr, Vorsorge für die Verfolgung künftiger Straftaten und Strafverfolgung akzeptieren müssen. Dies alles erfordert eine von dogmatischem Denken freie Betrachtung des Gesamtgefüges unserer gesellschaftlichen und im Grundgesetz verfassten Wirklichkeit. Grundrechte als Abwehrrechte staatlicher Eingriffe sind im Sinne praktischer Konkordanz abzuwägen gegenüber dem Anspruch auf Schutz und

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