Der globale Polizeistaat
dazustehen. Wer hingegen Forderungen für mehr Sicherheit aufstellt, ist nicht widerlegbar. Dieses argumentative Ungleichgewicht hat die Terrorbekämpfer in die Lage versetzt, die Schraube der inneren Sicherheit immer schärfer anzuziehen. Gleich nach dem 11. September 2001- noch unter dem Schäuble-Vorgänger Otto Schily - ging es los, mit den »Otto-Katalogen«, Bündeln voller Antiterrorverschärfungen im Strafrecht und im Polizeirecht. Verfassungsschutz und militärischer Abwehrdienst bekamen ebenso vage wie umfassende Befugnisse, Bestrebungen nachzuspüren, die sich »gegen den Gedanken der Völkerverständigung« richteten. Der Bundesnachrichtendienst, herkömmlich zuständig für Auslandsspionage, durfte sich ab sofort Einblick in deutsche Bankkonten verschaffen, ebenso in Telekommunikationsdaten im Inland, bekam die Befugnis, Flugreisen der Bürger und der Ausländer zu verfolgen. In Pässe und Ausweise durften biometrische Merkmale eingetragen werden.
Unter dem Schock des 11. September war es auch möglich, den Bundesgrenzschutz ohne großes Aufsehen und ohne Protest der Länder zur »Bundespolizei« umzubauen. Das ging so blitzschnell, dass in manchen Polizeikasernen die Beamten wochenlang mit hellen Flecken am Ärmel rumlaufen mussten, weil das alte Grenzschutzemblem zwar weisungsgemäß abgetrennt, das neue Bundespolizeiwapperl aber bestellungswidrig noch nicht eingetroffen war.
Die Logik des Krieges gegen den Terrorismus verlangt nach immer mehr: Die Wiesbadener Ermittler forderten Überwachungs- und Eingriffsermächtigungen in die Freiheiten der Bürger, wie sie bislang im Rechtsstaat des Grundgesetzes unbekannt
waren. »Wenn man alles zusammen nimmt, was jetzt erlaubt werden soll«, staunt Dieter Grimm, Staatsrechtsprofessor und ehemaliger Verfassungsrichter, »hätte man das vor zehn Jahren für unmöglich gehalten.« BKA und Geheimdienste haben schon Onlinezugriff auf die mittlerweile digitalisierten Pass- und Ausweisfotos in den Meldeämtern der Länder. Das BKA will zudem Zugriff auf die Milliarden Datensätze der deutschen Mautüberwachung zu Fahndungszwecken. Technisch sind die Fahnder heute bereits in der Lage, Bewegungsbilder jedes beliebigen Autobahnnutzers herzustellen.
Wer als Risikoperson ins Visier der Fahnder gerät, muss nach den Polizeigesetzen der Länder und ebenso nach dem neuen BKA-Gesetz damit rechnen, dass die Terrorismuswächter in Wiesbaden - rein vorsorglich ohne konkreten Straftatenverdacht - seine Wohnung verwanzen und seine Telefone abhören. Zugriff auf alle Verbindungsdaten ist ohnehin kein Problem mehr: Der Bundestag hat 2007 der Sechs-Monate-Vorratsdatenspeicherung der gesamten Telefon- und Mailverbindungen aller Bewohner Deutschlands zugestimmt. Das Instrumentarium der Geheimdienste, beobachtende Fahndung und Lauschangriffe, ist nach den Polizeigesetzen der Länder oft ohne richterliche Kontrolle zulässig. Für Zwecke der Rasterfahndung dürfen die Länderpolizisten sogar Datenbestände privater Institutionen herausverlangen. Parallel dazu hat mittlerweile auch die Bundespolizei die Befugnis zu Lauschangriffen und Videoangriffen - sogar gegen Personen, die nicht selbst unter Terrorverdacht stehen, sondern nur als »Kontaktpersonen« in Betracht kommen. Die Bundespolizei, der ehemalige Bundesgrenzschutz, darf ohne weitere Voraussetzungen Personen langfristig observieren und in Gefahrenlagen Rasterfahndungen durchführen. Nach dem Geldwäschegesetz von 2008 muss jeder Bankangestellte das BKA informieren, falls ihm ein Kunde verdächtig vorkommt, Terrorakte zu finanzieren. Dabei dürfen die Hilfspetzer der Terroristenjagd niemandem verraten, dass sie seine Daten weitergegeben haben.
Damit nichts verloren geht von der umfassenden »Wissensbasis« (BKA-Chef Jörg Ziercke), die das BKA aufbauen soll, hat Schäuble im März 2007 die »Antiterrordatei« freigeschaltet, einen Computerpool mit einem Startkapital von 15 000 Datensätzen, täglich steigend. Geheimdienste und Polizei tauschen da Infos aus über alles, was nach Terror riecht.
Der Kreis jener Bürger, denen das BKA an die Laptops will, ist allerdings erlesen. Der von Schäuble hartnäckig verfolgte Plan, die Terrorabwehr live im Computer Verdächtiger betreiben zu lassen, ist geeignet, Unfrieden im Netz wie im Volk zu stiften. Die Idee, dass Polizisten unbemerkt in den Festplatten der Bürger herumsuchen können, hat etwas Totalitäres. Gilt doch für die Festplatte im digitalen Zeitalter, was einst als Vers
Weitere Kostenlose Bücher