Der globale Polizeistaat
erkannt - oder: Nein, keine Gefahr erkennbar. Und welche Rechtfertigung sollte es geben, im zweiten Fall gleichwohl aufgrund von »Anhaltspunkten« zu so massiven Eingriffen zu schreiten? Das Hinzufügenmüssen oder Weglassendürfen ist stets maßgeblich für die Korrektheit des Ergebnisses und damit für die Erlaubnis zum Eingriff. Steht die Auswahl »passender« Informationen frei, sind der Willkür Tür und Tor geöffnet. Mit seiner Andeutung, dass im Terrorfall der Gefahrenbegriff in der Weise ausgelegt werden darf, dass statt aller nur (»zumindest«) einige Informationen dem Urteil zugrunde zu legen sind, riskiert das Gericht eine gefährliche Aufweichung eines zentralen polizeirechtlichen Begriffs - und das Bundeskriminalamt greift beherzt und dankbar zu.
Eine Analyse des ehrgeizigsten Regelungsprojekts im neuen BKA-Gesetz zeigt, dass der Versuch, den Kampf gegen den Terror in rechtsstaatlich-polizeirechtliche Formen zu kleiden, auch bei großer Anstrengung im rechtlichen Nichts endet: Nach der Vorschrift des Paragrafen 20k lässt sich ein Onlineangriff praktisch gegen jedermann begründen, der aus welchen
Gründen auch immer als »Gefährder« geführt wird. Dass dies und nichts anderes im Kern auch so gewollt ist, zeigen die weiteren Ausschmückungen der Computerrazzia-Erlaubnis. In der »Sofern«-Vorschrift des Paragrafen 20 k wird an die »bestimmten Tatsachen«, die auf eine »drohende Gefahr hinweisen« die zusätzliche Bedingung gestellt: Sie müssen nicht auf irgendeinen schädlichen Ereignisablauf hinweisen, sondern auf einen, der »durch bestimmte Personen« herbeigeführt wird. Auch dies beruht auf einer Bedingung des Bundesverfassungsgerichts, das formuliert: Die Hinweistatsachen müssten sich auch darauf beziehen, »dass bestimmte Personen beteiligt sein werden, über deren Identität zumindest so viel bekannt ist, dass die Überwachungsmaßnahme gezielt gegen sie eingesetzt … werden kann«.
Verzichten wir auf eine erneute Diskussion des rätselhaften »zumindest« und beschränken uns auf die erstaunte Frage, inwieweit wohl die Kenntnis der Identität einer Person für einen Angriff auf ihren Computer verzichtbar sein mag. Der wesentliche Gehalt dieser Bedingung, wie sie vom Gesetzgeber aufgenommen wurde, führt in bekannte Bahnen. Auch die Vorschrift des Paragrafen 20 k knüpft an die Denkfigur an, die beim BKA für den »Gefährder« bereitliegt. In Wahrheit stellt die Erlaubnis zur Computerspionage auf die Disposition von Personen ab, terroristisch tätig zu werden. Da hat es einen Sinn, wenn nach »Anhaltspunkten« dafür gefragt wird, dass eine Person einen Schaden herbeiführt, der ein »wenigstens seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen darstellt« - so eine weitere Bedingung des Bundesverfassungsgerichts. 28 Dies aber entspricht genau der Rekonstruktion, die wir oben zum »Gefährder«-Begriff angestellt haben: Es wird darauf abgestellt, ob eine Person die Neigung hat, Terrorakte einer gewissen Art irgendwann irgendwo demnächst zu realisieren. Die »Anhaltspunkte« dafür beziehen sich - trotz entgegengesetzter Versicherungen des Bundesverfassungsgerichts - nicht etwa auf eine konkrete Gefahr, sondern auf die Disposition eines Probanden.
Was Wunder, dass es da auf Zeitpunkte der Beurteilung nicht mehr ankommt. Wer einmal als »Gefährder« erkannt ist, bleibt es für immer.
Die scheinbare Begrenzung der Befugnis zur Onlinedurchsuchung auf konkrete Gefahren ist rechtsstaatlicher Budenzauber. In Wahrheit ermächtigt die »Hammervorschrift« des BKA-Gesetzes zur neuen Art von Prävention: zur Verfolgung des Feindes.
Viertes Kapitel
Der weite Raum der Sicherheit
Der Fluggast Mamoun Darkazanli war gebucht auf die Abendmaschine der Iberia von Berlin nach Madrid. Dass die ohne ihn flog, verdankt der Mann dem Bundesverfassungsgericht.
Der in Syrien geborene Deutsche ist nach Ansicht von Terrorfahndern eine Schlüsselfigur im Al Kaida-Netz. Darum saß er an jenem Tag im November 2004 schon gut bewacht im Hubschrauber, der ihn aus der Hamburger Auslieferungshaft zum Flughafen Tegel bringen sollte, als die Karlsruher Richter die zwangsweise Überstellung des Mannes an die spanische Justiz auf den Tisch bekamen. Die beiden Polizeibeamten, die sich extra aus Madrid herbemüht hatten, um den mutmaßlichen Terrorhelfer in spanische Justizhaft zu bringen, waren sogar schon im Besitz ihrer Bordkarten, als das Gericht 50 Minuten vor Abflug die Reise per Fax stornierte.
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