Der globale Polizeistaat
Freiheit und Sicherheit zugleich zu maximieren, ist ein Betrüger.
»Ohne Bürgerrechte zu verletzen«
Freiheit dank Hamlet - Ist Europa auch ein Monster? -
Sechs klopfen alles fest - Die Haager Datenkrake - Fesseln
oder Schwerter?
Europa hat überall dort Kompetenzen der Mitgliedstaaten übernommen, wo Brüssel meint, etwas zu können, was kein anderer kann. Dies ist, vereinfacht ausgedrückt, Sinn und Zweck der Europäischen Union. Dieser Räson ist auch zu verdanken, dass die Organe der EU seit langem versuchen, im Kampf gegen den Terror das Unmögliche möglich zu machen: Sicherheit und Freiheit gemeinsam zu gewährleisten: »Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts« ist die Bezeichnung für das Projekt der gemeinsamen Justiz- und Polizeipolitik, bislang eine Kooperation in der »dritten Säule« der Verträge, nach dem neuen Lissabon-Vertrag ein Teil der zentral gesteuerten Gemeinschaftspolitik. Schon die Vereinigung von Justiz und Polizei in einem Atemzug klingt in deutschen Juristenohren nach Alchemie, ist doch hierzulande eine sorgsame Abgrenzung zwischen dem Machtbereich der Justizministerin Brigitte Zypries und dem des Innenministers Schäuble ein Teil zumindest der rechtsstaatlichen Hygiene: Im Zweifel soll ja die Justiz darüber richten, was die Leute von Innen angerichtet haben. Auch eine andere Abgrenzung, die man in Deutschland für zentral hält, gilt nach dem Vertrag von Lissabon nicht mehr: Die zwischen Polizei und Militär. Gegen den Terror sollen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts notfalls beide gemeinsam dienen. 29
Dass sich Sicherheit und Freiheit auf hohem Niveau und zugleich in rechtlich ansprechender Form durchsetzen lassen, erhofft sich wenigstens EU-Industriekommissar Günter Verheugen, der sich irgendwie auch ein bisschen zuständig für die Sicherheit und Freiheit fühlt, weil dahinter ja eine gewaltige Industrie steht - jedenfalls, was die Sicherheit betrifft: Schon 2007 stellte er das gemeinschaftlich finanzierte Projekt »Hamlet«
vor. Hamlet soll, wenn es fertig ist, verdächtige Personen in einer Menschenmenge aufspüren können, ohne dass die (zunächst) etwas davon merken. Sicherheit und Freiheit zu vereinen - dem Kommissar ist nichts zu schwer. Verheugen baut auf das Kommissionsprojekt »i-tracs«, das Reise- Kommunikations- und Finanzdaten der Europäer ausspähen soll, »ohne Bürgerrechte zu verletzen«.
Der Wunderglaube beruht auf einer neuen europäischen Sicherheitsphilosophie, die nicht nur von der Brüsseler Kommission, sondern in enger Kooperation auch vom Berliner Innenminister Schäuble vertreten wird: Freiheit und Sicherheit sind danach keine Gegensätze, sondern bauen aufeinander auf. »Freiheit und Sicherheit sind kein Widerspruch«, erklärte der damalige stellvertretende Kommissionspräsident Franco Frattini, »Freiheit setzt Sicherheit voraus«, mehr noch, »Sicherheit ist Voraussetzung für Menschenrechte«. Mit solchen Parolen kann man was werden: Mittlerweile ist Frattini Berlusconis Außenminister und sitzt als solcher im Brüsseler Rat. Doch als er 2007 solche Äußerungen machte, saß er auf demselben Podium mit seinem Freund Wolfgang Schäuble bei einer Tagung der »Zukunftsgruppe«, einem Projekt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft für mehr Sicherheit - und natürlich mehr Freiheit - in Europa.
Schäuble nickt heftig, wenn Frattini so spricht, und fügt hinzu: »… weil es Freiheit ohne Sicherheit so wenig gibt, wie Sicherheit ohne Freiheit irgendeinen Nutzen hat. Deswegen glaube ich, dass es ganz wichtig ist, der Behauptung eines Widerspruchs zwischen Sicherheit und Freiheit entgegenzutreten, so wie wir auch dem Eindruck einer Arbeitsteilung zwischen europäischer Ebene und nationalen Mitgliedstaaten entgegenwirken müssen«, worauf dann wieder Frattini heftig nickt.
In dem Bemühen um die europäische Einigung geht tatsächlich manches verloren, was früher zum Kernbestand moderner Nationalstaatlichkeit gehörte. Danach definiert sich »Freiheit« als Abwesenheit staatlicher Unterdrückung. Freiheit ist die
Freiheit des Andersdenkenden, des Meinungsäußernden, des Privaten und des Besitzenden dem Staat gegenüber. Sicherheit hingegen ist die Abwesenheit der Unterdrückung durch das Böse drum herum. Um der Sicherheit willen haben im Modell des Staatstheoretikers Thomas Hobbes die Menschen den Staat als Leviathan, als Monster, geschaffen und sich als Bürger ihm ein Stück weit unterworfen, damit er sie mit
Weitere Kostenlose Bücher