Der globale Polizeistaat
Normenbestimmheit« 21 nicht erfüllt. Weil es nicht klar erkennen ließ, wer in welcher Situation mit einem Angriff auf seinen Laptop rechnen musste, wurde es für nichtig erklärt. An die Berliner Adresse gerichtet, formulierte das Gericht dann, von welcher »Gefahrenstufe« an ein Onlineangriff verfassungsmäßig sein könnte: Ein solcher Eingriff könne auch schon dann gerechtfertigt sein, »wenn sich noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen lässt, dass die Gefahr schon in näherer Zukunft eintritt, sofern bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall drohende Gefahr … hinweisen«.
Da ist sie wieder, die rätselhafte Konstruktion. Um ja nichts falsch zu machen, haben die Gesetzesautoren beim Bundesverfassungsgericht abgeschrieben. Damit ist das Problem der rätselhaften Zeitverschiebung aber noch nicht gelöst. Eine Gesetzesvorschrift wird nicht dadurch klarer, dass sie vom Bundesverfassungsgericht stammt. Und es handelt sich dabei um kein kleines Problem: Die Beurteilungsgrundlage für die Annahme einer Gefahr ändert sich, so war oben deutlich geworden, mit jeder Sekunde. Eine massive Gefahr kann sich im nächsten Augenblick schon als vollkommen harmlose Situation darstellen - und umgekehrt. Beispiele aus der Geschichte des Krieges gegen den Terror wurden auch hier schon zahlreich
erwähnt: Wenn ein vermeintlicher Flugzeugentführer sich im Zeitablauf als kleiner Junge erweist 22 , wenn ein vermeintlich zur Tat in Deutschland entschlossener Islamist plötzlich ein Video vom anderen Ende der Welt schickt 23 muss dies Einfluss auf die Entscheidung der Frage haben, ob massive Grundrechtseingriffe (zum Beispiel gegen mutmaßliche Unterstützer in Deutschland) zulässig sein sollen oder nicht. Wenn das Definitionsmerkmal Z im Gefahrbegriff nicht klar ist, ist die gesamte Vorschrift unbrauchbar, denn dann ist das Merkmal T - die Ermächtigungsgrundlage - beliebig einsetzbar. Jeder Eingriff lässt sich rechtfertigen, wenn sich der Entscheider nur ein bisschen dümmer stellt, als er inzwischen ist. Umgekehrt ist es möglich, einen Gefahrabwehreingriff beliebig vorzuverlegen nach dem Motto »meine Ansicht über den Mann steht fest, irritieren Sie mich nicht mit weiteren Nachforschungen«.
Das Bundesverfassungsgericht macht die Verwirrung nur noch größer. Es sagt uns einerseits, wann eine Gefahrenprognose voreilig und damit rechtswidrig ist: »Wenn nur ein durch relativ diffuse Anhaltspunkte für mögliche Gefahren gekennzeichnetes Geschehen bekannt ist.« Die Geschehnisse könnten dann »in harmlosen Zusammenhängen verbleiben, aber auch den Beginn eines Vorgangs bilden, der in eine Gefahr mündet«. 24 Andererseits wird als ausreichend angesehen, »dass zumindest tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr … bestehen«. Diese Unterscheidung ist einerseits trivial - natürlich geht es nicht um »mögliche Gefahren«, sondern um Gefahren. Andererseits hat sie keinerlei Bezug zum Zeitpunkt Z - die Situation der »Diffusität« kann, wie etwa das Breininger-Beispiel 25 zeigt, ebenso gut nach wie vor dem maßgeblichen Zeitpunkt auftreten. Eine »dringende« Gefahr kann ohne Weiteres zu einer nur »möglichen« herabgestuft werden. Doch vielleicht kommt es dem Gericht auf die zeitliche Komponente gar nicht an. Darauf deutet die Formulierung, dass«zumindest« tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr bestehen müssten. Es kommt also nicht auf den Zeitpunkt der Tatsachenerhebung, sondern auf den Umfang
der Tatsachengrundlage an. Im Fall terroristischer Bedrohung, so lässt sich das Urteil lesen, dürfe die Prognosegrundlage in gewisser Weise ausgedünnt werden. Doch diese Rekonstruktion führt ins selbe Dilemma wie die Freigabe des Zeitpunkts 26 der Prognose: Es gibt keine Festlegung mehr, welche Informationen über welche Tatsachen denn nun maßgeblich sind und auf welche verzichtet werden darf. Keine Information ist für sich gesehen als »Anhaltspunkt« für ein drohendes Schadensereignis zu sehen, sondern stets nur in einem vollständigen Bündel aller als relevant erkannten Informationen. Das zeigt das Beispiel des maskierten Spielzeugpistolenmannes vor einem Juweliergeschäft an einem Sonntag. 27 Welche Information darf ich zur Beurteilung der Situation weglassen, welche ist »zumindest« ein Anhaltspunkt? Und welche Rechtfertigung sollte es geben, zu einem beliebigen Zeitpunkt nicht alle verfügbaren Informationen zu prüfen? Und gegebenenfalls zu entscheiden: Jawohl, Gefahr
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