Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame
Queue-en-Brie in Isle de France, einige Meilen von Paris entfernt, wo seine Kompanie in Garnison lag. Übrigens war ihm durchaus nichts daran gelegen, bei dem Prozesse zu erscheinen. Er hegte ein dunkles Gefühl, dort werde er sich lächerlich machen. Übrigens wußte er selbst nicht recht, was er von der Sache denken sollte. Eben nicht fromm, aber desto mehr abergläubisch, wie jeder Soldat, der nur Soldat ist, war er, wenn er sich die Sache bedachte, nicht ganz über die Ziege, das sonderbare Zusammentreffen mit Esmeralda, über die ebenso sonderbare Weise, wie sie ihn ihre Liebe erraten ließ, über ihre Geburt als Zigeunerin und über das Gespenst im reinen. Er erblickte in der Geschichte mehr Zauberei als Liebe, hielt die Zigeunerin für eine Hexe und den Schwarzrock für den Teufel; er beruhigte sich bald über die Zauberin Esmeralda oder Similar, wie er sie nannte, über den Dolchstich der Zigeunerin oder des Gespenstes und über den Ausgang des Prozesses. Sobald sein Herz in dieser Hinsicht frei war, nahm Fleur-de-Lys ihren alten Platz dort wieder ein; so erschien denn eines Morgens der liebende Ritter vor der Tür des Hauses Gondelaurier, band sein Pferd an einen Ring der Halle und stieg munter die Treppe zu seiner Verlobten hinan.
Diese war allein bei ihrer Mutter. Die Szene mit der Hexe, der Ziege, dem verwünschten Alphabeth und des Phoebus lange Abwesenheit waren ihr seitdem immer im Kopf herumgegangen. Als sie aber den Hauptmann eintreten sah, fand sie sein Wams so neu, sein Wehrgehenk so glänzend, seinen Ausdruck so leidenschaftlich, daß sie vor Freude errötete; sie war schöner als je. Ihre Haare waren entzückend geflochten; sie trug ein himmelblaues Kleid, wie es den Blondinen so gut steht, und ihr Auge schwamm in verliebtem Schmachten. Das Mädchen saß am Fenster und stickte noch immer an ihrer Neptunsgrotte. Der Hauptmann beugte sich über die Lehne ihres Stuhls, und sie schmälte mit halb liebkosendem Ton: „Böser Mann, warum seid Ihr seit zwei Monaten nicht gekommen? „ – „Ich schwöre Euch“, erwiderte Phoebus ein wenig verlegen, „Ihr seid so schön, um selbst einen Erzbischof schwermütig zu machen.“ – Sie mußte lächeln. – „Schon gut, schon gut! Laßt jetzt meine Schönheit, wie sie ist, und antwortet. Wahrhaftig, meine Schönheit muß groß sein!“ – „Nun gut, liebe Kusine, ich mußte nach meiner Garnison zurück.“ – „Wohin? Und warum kamt Ihr nicht, Abschied zu nehmen?“ – „Ich mußte nach Queue-en-Brie.“
Phoebus war entzückt, daß die erste Frage ihm Gelegenheit gab, die zweite unbeachtet zu lassen.
„Das ist ja ganz in der Nähe. Warum besuchtet Ihr mich nicht ein einziges Mal?“
Hier war Phoebus wirklich verlegen.
„Ich wurde abgehalten … durch den Dienst … und ich war auch krank, schöne Kusine.“
„Krank?“ fragte sie erschreckt.
„Ja … verwundet.“
„Verwundet?“
Das arme Mädchen erschrak heftig. „Nun ja“, sprach Phoebus in nachlässigem Ton, „es war gar nichts, ein Zank und ein Degenstoß. Was gilt Euch das!“
„Was mir das gilt?“ rief Fleur-de-Lys und erhob ihre in Tränen schwimmenden Augen. „Ach! Ihr sagt mir nicht, was Ihr hierüber denkt. Was war das für ein Degenstoß? Ich muß alles wissen.“ – „Gut, liebe Kusine. Ich zankte mich mit Mahé Fédy, dem Leutnant von St. Germain-en-Laye. Wir hackten einander einige Zoll Hau vom Leibe. Weiter war es nichts!“
Der Hauptmann wußte sehr wohl, als er so log, eine Ehrensache hebe stets einen Mann in der Meinung einer Dame. Wirklich sah ihm auch Fleur-de-Lys von Furcht, Bewunderung und Vergnügen bewegt, ins Gesicht. Sie war aber noch nicht ganz beruhigt.
„Seid Ihr auch ganz geheilt, mein Phoebus? Ich kenne Mahé Fédy nicht, – aber er ist ein häßlicher Mann. Woher kam denn der Zank?“
Hier begann Phoebus, dessen Phantasie eben keine Schöpfungskraft besaß, wirklich in Verlegenheit zu geraten, wie er seine Heldentat durchführen sollte. „Oh! … was weiß ich … ein Nichts, ein Wort … ein Pferd! … – Schöne Kusine“, brach er plötzlich ab, um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, „was bedeutet der Lärm auf dem Platz?“
Er trat ans Fenster. – „Oh Gott, schöne Kusine, welch ein Gedränge!“
„Ich weiß es nicht“, sprach Fleur-de-Lys, „wie es scheint, soll eine Hexe vor der Kirche öffentlich Buße tun, um nachher gehängt zu werden.“
„Oh Gott Jesus!“ sprach die Mutter, „jetzt gibt es so viel Hexen,
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