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Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Titel: Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo , Pößneck GGP Media GmbH
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meine?“
    „Ich sage dir, laß mein Pferd los“, fuhr ihn Phoebus ärgerlich an. „Was hängst du dich in den Zügel meines Renners? Meinst du, mein Pferd sei ein Galgen?“
    Quasimodo, weit entfernt, den Zügel fahren zu lassen, suchte das Pferd umzulenken. Da er sich den Widerstand des Offiziers nicht erklären konnte, sagte er schnell: „Kommt, Herr Hauptmann; ein Mädchen erwartet Euch.“ Dann fügte er mit Selbstüberwindung hinzu: „Ein Mädchen, das Euch liebt.“
    „Der Schelm“, rief der Offizier, „glaubt, ich müßte allen Weibern nachlaufen, die mich lieben. Uhu-Gesicht, wenn sie dir gleicht, sag ihr, ich werde mich verheiraten. Sie mag zum Teufel gehen!“
    „Hört doch!“ rief Quasimodo, und glaubte durch ein Wort den Widerstand des Reiters zu überwinden. „Es ist die Zigeunerin. Ihr wißt schon.“
    Dies Wort brachte auf Phoebus einen großen Eindruck hervor, jedoch nicht den von Quasimodo erwarteten. Der Leser erinnere sich, wie der galante Offizier einige Augenblicke, bevor Esmeralda gerettet ward, sich mit Fleur-de-Lys entfernte. Seitdem hatte er sich wohl gehütet, bei seinen Besuchen im Hause Gondelaurier das Mädchen zu erwähnen, dessen Andenken ihm lästig war, und Fleur-de-Lys hielt es nicht für klug, ihm zu hinterbringen, die Zigeunerin sei noch am Leben. Phoebus also glaubte, die arme Similar sei tot, denn zwei Monate waren schon verflossen. Dazu kam noch, daß der Hauptmann an das tiefe Dunkel der Nacht, an die übernatürliche Häßlichkeit, an die Leichenstimme des sonderbaren Boten dachte, daß Mitternacht vorüber und die Straße ebenso einsam war wie an dem Abend, wo das Gespenst zu ihm herantrat, daß endlich sein Pferd zu schnauben anfing, da es Quasimodo erblickte.
    „Die Zigeunerin“, rief er beinahe erschreckt. „Kommst du aus der Welt der Gespenster?“ Mit diesen Worten legte er die Hand an seinen Dolch.
    „Schnell, schnell“, sprach der Taube, indem er das Pferd umzuwenden suchte. „Kommt!“
    Phoebus gab ihm einen heftigen Stoß mit dem Stiefelabsatz auf die Brust. Quasimodos Auge funkelte. Er schickte sich an, auf den Hauptmann loszustürzen; dann erstarrte er plötzlich und sprach: „Wie glücklich seid Ihr, daß jemand Euch liebt!“ Das Wort jemand betonte er scharf; dann ließ er den Zügel des Pferdes los und sprach: „Geht, wohin Ihr wollt!“
    Phoebus spornte fluchend sein Roß. Quasimodo sah, wie er im Nebel der Straße verschwand. – „Oh“, sprach leise der arme Taube, „das auszuschlagen!“
    Er kehrte zur Kirche zurück, zündete seine Lampe an und stieg den Turm hinan. Wie er vermutet hatte, befand sich die Zigeunerin noch immer an derselben Stelle. Sobald sie ihn erblickte, eilte sie auf ihn zu. „Allein“, sprach sie, voll Schmerz die Hände faltend.
    „Ich konnte ihn nicht auffinden“, sagte kalt Quasimodo.
    „Du hättest die ganze Nacht warten sollen“, rief sie zornig. Er sah ihre zornige Bewegung und verstand den Vorwurf. „Ein andermal will ich besser aufpassen“, erwiderte er, das Haupt senkend.
    „Geht fort“, sprach sie. Er verließ sie. Sie war mit ihm unzufrieden. Er wollte lieber von ihr mißhandelt werden, als sie betrüben. Den Schmerz bewahrte er nur für sich selbst. Von dem Tage an sah ihn die Zigeunerin nicht mehr; er kam auch nicht mehr zu ihrer Zelle. Höchstens sah sie noch die Gestalt des Glöckners auf der Turmspitze, wie er schwermütig auf sie hinblickte. Sobald sie ihn aber erschaute, verschwand er sogleich.
    Sie sah ihn nicht mehr, fühlte aber die Gegenwart ihres schützenden Genius. Während ihres Schlummers erneuten sich ihre Nahrungsmittel durch eine unsichtbare Hand. Eines Morgens fand sie an ihrem Fenster einen Vogelkäfig. Oben an ihrer Zelle war eine Gestalt gemeißelt, vor der sie sich fürchtete. Mehrere Male hatte sie dies gegen Quasimodo geäußert. Eines Morgens (denn dies alles geschah des Nachts) war die Gestalt zerbrochen. Der, welcher so hoch hinaufkletterte, hatte sein Leben gewagt.
    Bisweilen hörte sie des Abends eine unter dem Wetterdach des Kirchturms verborgene Stimme, die ein trauriges, sonderbares Lied sang, um sie gleichsam einzuschläfern. Es waren Verse ohne Reim, wie sie ein Tauber dichten kann.
    Sieh nicht auf Form,
    Mädchen, sieh aufs Herz.
    Das Herz des schönen Mannes ist oft gar häßlich.
    In vielen Herzen bleibt die Liebe nicht.
    Die Tanne, Mädchen, ist nicht schön,
    So schön nicht wie die Pappel;
    Doch bleibt ihr Laub im Winter.
    Ach! Wozu hilft dies

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