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Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Titel: Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo , Pößneck GGP Media GmbH
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Wort?
    Was schön nicht ist, ist besser tot.
    Nur Schönheit liebt die Schönheit.
    April verschmäht den Januar.
    Vollkommen ist die Schönheit,
    Die Schönheit ist allmächtig.
    Die Schönheit ist allein nie halb geschaffen.
    Der Rabe fliegt am Tage,
    Der Uhu fliegt des Nachts,
    Der Schwan fliegt Tag und Nacht.
    Eines Morgens sah sie, erwachend, am Fenster zwei Blumengläser. Das eine war ein Kristallglas, schön und glänzend, aber gespalten. Quasimodo hatte das Wasser herauslaufen lassen, und die Blumen, die es enthielt, waren verwelkt. Das andere war ein steinerner, grober und gewöhnlicher Topf, allein voll Wasser, mit frischen purpurnen Blumen.
    Esmeralda nahm den verwelkten Blumenstrauß (ich weiß nicht, ob mit Absicht) und trug ihn den ganzen Tag hindurch am Busen. An dem Tage vernahm sie nicht den Gesang im Turme; darum aber bekümmerte sie sich wenig. Sie vertrieb sich die Zeit, indem sie Djali liebkoste, auf das Tor des Hauses Gondelaurier blickte, über Phoebus leise mit sich selbst sprach, und mit Brotkrumen Schwalben fütterte. Quasimodo sah und hörte sie nicht mehr. Der arme Glöckner schien aus der Kirche verschwunden zu sein. Jedoch einst in der Nacht, als sie nicht schlief und an ihren schönen Hauptmann dachte, vernahm sie neben ihrer Zelle einen tiefen Seufzer. Erschrocken stand sie auf und sah im Mondlicht eine mißgestaltete Masse quer vor ihrer Tür liegen. Quasimodo schlief dort auf dem steinernen Fußboden.

40. Der Schlüssel der roten Tür
    Der Archidiakonus hörte das Gerücht von der wunderbaren Rettung der Zigeunerin. Als er dies vernahm, wußte er kaum, was er empfand. Für den Tod der Esmeralda hatte er schon ganz seine Stimmung eingerichtet und war ruhig, denn die Tiefe des möglichen Schmerzes hatte er schon berührt. Das Menschenherz kann nur einen gewissen Grad der Verzweiflung fassen. Ist der Schwamm gesättigt, kann ein Meer über ihn hinströmen, ohne daß noch ein Tropfen eindringen könnte. So war auch für Dom Claude der Schwamm gesättigt, als er Esmeralda für tot hielt; für ihn war alles vorbei; da er aber erfuhr, Esmeralda und Phoebus seien beide am Leben, begannen Erschütterungen, Qualen, kurz das Leben für ihn aufs neue; und Claude war alles dessen müde.
    Als er die Nachricht erfuhr, schloß er sich in seine Klosterzelle ein. Er erschien weder in den Versammlungen des Kapitels, noch beim Gottesdienste. Seine Tür blieb allen, selbst dem Bischofe, verschlossen. Mehrere Wochen lang war er so eingemauert. Man hielt ihn für krank und er war es wirklich. Welchen Gedanken mochte der Unglückliche erliegen? Begann er einen letzten Kampf mit seiner furchtbaren Leidenschaft? Entwarf er einen letzten Plan, sie und sich zu vernichten? Sein geliebter Bruder Jehan, sein verzogenes Kind, kam einmal an seine Tür, klopfte, bat, fluchte, flehte, nannte zehnmal seinen Namen. Claude öffnete nicht.
    Ganze Tage stand er vor den Fensterscheiben seiner Zelle im Kloster. Von dort aus sah er die Kammer der Esmeralda. Oft erblickte er sie in Gesellschaft ihrer Ziege. Er bemerkte die Dienstfertigkeit, den Gehorsam, die zärtlichen und unterwürfigen Manieren des häßlichen Tauben bei der Zigeunerin. Er erinnerte sich (denn sein Gedächtnis war scharf, und das Gedächtnis quält Eifersüchtige am heftigsten) des sonderbaren Blickes, den der Glöckner eines Abends auf die Tänzerin richtete. Er legte sich die Frage vor, welcher Beweggrund Quasimodo zu ihrer Rettung habe antreiben können. Er war Zeuge von tausend kleinen Szenen zwischen der Zigeunerin und dem Tauben, dessen von fern gesehene und durch Leidenschaft gedeutete Pantomimen ihm sehr zärtlich zu sein schienen. Er mißtraute der sonderbaren Laune der Weiber. Dann empfand er, wie in dunklem Gefühle eine Leidenschaft in ihm erwachte, die er nie erwartet hatte, wobei Scham und Zorn ihm das Blut in die Wangen trieb. – Den Hauptmann ließ ich noch gelten, dachte er, aber dieses Scheusal! – Der Gedanke verrückte ihm den Kopf. Furchtbar waren seine Nächte. Seitdem er wußte, die Zigeunerin lebe, verschwanden die kalten Gedanken des Grabes und Gespenstes, die ihn eine Zeitlang quälten, und das Fleisch stachelte ihn aufs neue. Er krümmte sich auf seinem Lager, wenn er das junge Mädchen so dicht in seiner Nähe sich schlafend dachte.
    Jede Nacht führte seine rasende Phantasie ihm Esmeralda in allen Stellungen vor, die in seinen Adern das Blut zum Kochen gebracht hatten. Er sah sie hingestreckt unter dem niedergestoßenen

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