Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame
Hauptmann mit geschlossenen Augen, wie des Phoebus’ Blut über ihren schönen nackten Busen strömte, in dem Augenblick des Entzückens, wo der Archidiakonus auf die blassen Lippen den Kuß drückte, dessen Brennen die Unglückliche, ob auch schon halb tot, empfand. Er sah sie von den rohen Händen der Folterknechte entkleidet, wie sie ihren kleinen Fuß, das runde, schöne Bein, das schmächtige und weiße Knie entblößen und in den spanischen Stiefel schließen ließ. Er schaute noch stets das Knie von Elfenbein, wie es allein aus Torterues furchtbarem Werkzeuge noch hervorragte. Endlich dachte er sich das junge Mädchen im Hemde, mit dem Strick um den Hals, mit entblößten Schultern und Füßen, beinah nackt, wie er sie am letzten Tage sah. Schuf er sich diese wollüstigen Bilder, dann ballte sich seine Faust und er fühlte, wie ein Schauder seine Wirbelsäule hinablief.
In einer Nacht erhitzten die Bilder so heftig sein priesterliches Blut, daß er ein Kopfkissen mit den Zähnen zerriß, aus seinem Bett sprang, einen Mantel über sein Hemd warf und die Zelle halb nackt, die Lampe in der Hand und mit glühendem Blick, verließ. Er wußte, wo der Schlüssel der roten Tür, die vom Kloster in die Kirche führte, zu finden war, und wie der Leser schon weiß, hatte er einen Schlüssel zur Turmtreppe stets in der Tasche.
In jener Nacht schlief Esmeralda in ihrer Kammer, eingewiegt von Hoffnung und süßen Gedanken. Einige Zeit war sie schon in Schlaf versunken, als es ihr schien, sie vernehme ein Geräusch. Ihr Schlaf war leicht und unruhig, wie der eines Vogels; eine Kleinigkeit erweckte sie. Sie schlug die Augen auf; die Nacht war dunkel; an der Luke aber sah sie dennoch eine Gestalt, die sie anschaute, und eine Lampe erleuchtete die Erscheinung. Im Augenblick als diese merkte, sie sei von Esmeralda erblickt, blies sie die Lampe aus. Dennoch hatte das Mädchen noch Zeit genug zum Erkennen und schloß aus Schrecken ihre Augenlider. „Oh!“ rief sie mit erloschener Stimme: „Der Priester!“ All ihr Unglück zog wie ein Blitz vor ihren Augen vorüber, erstarrt lag sie auf ihrem Bette. Gleich darauf fühlte sie an ihrem Körper die Berührung des seinen, worüber sie so erzitterte, daß sie erwachend, sich erschrocken auf dem Lager aufrichtete. Der Priester lag neben ihr und umschlang sie mit seinen Armen. Sie wollte schreien, aber sie konnte es nicht. „Fort, Ungeheuer, fort, Mörder!“ sprach sie mit einer aus Zorn und Furcht leisen Stimme.
„Gnade, Gnade!“ murmelte der Priester, indem er seine Lippen auf ihre Schultern drückte. Sie ergriff sein kahles Haupt bei den noch wenigen zurückgebliebenen Haaren, und suchte seinen Küssen, als wären es giftige Bisse, auszuweichen. – „Gnade“, rief der Unglückliche, „kennst du meine Liebe! Sie ist Feuer, geschmolzenes Blei, Messerstiche im Herzen!“
Er hielt ihre beiden Arme mit übernatürlicher Kraft. Außer sich sprach sie: „Laß mich los oder ich speie dir ins Gesicht!“
Er ließ sie los. – „Vernichte mich, schlage mich, sei boshaft, aber liebe mich! Gnade!“
Sie schlug ihn wütend wie ein Kind, spannte ihre schönen Hände, ihm das Gesicht zu zerkratzen. – „Fort, Teufel!“
„Mitleid!“ rief der arme Priester, indem er sich auf sie wälzte und ihre Schläge durch Liebkosungen erwiderte. Plötzlich fühlte sie ihn stärker als sich. – Er knirschte mit den Zähnen und sprach: „Jetzt will ich meinen Willen haben!“
Besiegt, zitternd, gebrochen lag sie in seinen Armen, ihm überlassen. Sie fühlte seine üppige Hand. Sie rief mit letzter Kraftanstrengung: „Zu Hilfe! Ein Vampir!“
Niemand kam, Djali allein war erwacht und meckerte voll Angst.
„Schweig!“ sprach der Priester keuchend. Plötzlich fühlte die Hand der ringenden Zigeunerin etwas Kaltes, Metallisches am Boden. Es war Quasimodos Pfeife.
Sie ergriff sie, hielt sie an die Lippen und pfiff mit der ihr noch übrigen Kraft. Die Pfeife gab einen scharfen, schrillenden Ton.
„Was soll das?“ fragte der Priester.
Fast in demselben Augenblick fühlte er, wie ein starker Arm ihn aufhob. Die Kammer war dunkel und er konnte nicht deutlich erkennen, wer ihn in den Fäusten hielt; er vernahm aber knirschende Zähne, und im Dunkel war noch soviel Licht verbreitet, daß er über seinem Haupte eine lange Messerklinge erblicken konnte.
Der Priester glaubte Quasimodos Gestalt zu erkennen. Er vermutete, nur dieser könne es sein, und erinnerte sich, über eine vor der Tür
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