Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame
naseweis, halb mitleidig, Partei für die Zigeunerin. „Laß sie schwatzen, Kleine“, sprach er, mit den goldenen Sporen klirrend. „Dein Anzug ist wohl ein wenig sonderbar und wild; aber bei einem so schönen Mädchen hat das weiter nichts auf sich.“
„Gott“, rief die blonde Gaillefontaine, indem sie ihren Schwanenhals mit bitterem Lächeln aufrichtete, „ich sehe, die Herren Häscher von der Ordonnanz des Königs fangen leicht Feuer bei schönen Zigeuneraugen.“
„Warum nicht?“ sagte Phoebus.
Der Hauptmann warf diese Antwort nachlässig, wie einen Stein hin, dem man im Fallen nicht nachsieht. Die Mädchen lachten, aber eine Träne trat der schönen Fleur-de-Lys zugleich in die Augen. Die Zigeunerin jedoch, die ihre Augen bis jetzt auf den Boden geheftet hielt, erhob den Blick, strahlend vor Freude und Stolz, und schaute Phoebus an. In dem Augenblick war sie wirklich sehr schön. Die alte Dame, die diese Szene betrachtete, fühlte sich beleidigt, ohne recht zu wissen warum. Plötzlich rief sie aus: „Gott! Was kriecht zwischen meinen Füßen? Oh, das häßliche Tier!“
Die Ziege hatte ihre Herrin aufgesucht, war auf sie zugestürzt und verwickelte sich in der Eile mit ihren Hörnern in dem langen Kleid der edlen Dame, das ihre Füße bedeckte. Die Zigeunerin wickelte die Ziege los, ohne ein Wort zu sagen.
„Oh, die kleine, hübsche Ziege!“ rief Bérangère und sprang vor Freude in die Höhe; „welch hübsche goldne Hörner!“
Die Zigeunerin kniete nieder und drückte den liebkosenden Kopf der Ziege an ihre Wange. Es schien, als wollte sie ihr Tier um Verzeihung bitten, es so verlassen zu haben. Diane neigte sich zum Ohr der Colombe: „Gott! Warum dachte ich nicht eher daran? Das ist ja die Zigeunerin mit der Ziege. Man meint, sie wäre eine Hexe und triebe mit der Ziege wunderbare Mummereien.“ – „So?“ sagte Colombe, „dann muß die Ziege uns auch ihre Künste zeigen und ein Wunder tun.“ – Beide redeten lebhaft die Zigeunerin an: „Kleine, laß deine Ziege doch ein Wunder tun!“ – „Ich weiß nicht, was Ihr meint.“ – „Nun, ein Wunder, eine Magie, eine Hexerei.“ – „Ich verstehe Euch nicht“, sprach die Zigeunerin und liebkoste ihre Ziege, indem sie wiederholt: „Djali!“ rief.
In dem Augenblicke bemerkte Fleur-de-Lys ein Säckchen aus vergoldetem Leder am Halse der Ziege und fragte: „Was ist das?“
Die Zigeunerin hob ihr großes Auge und sprach: „Mein Geheimnis.“ – Nun, das möchte ich kennen, dachte Fleur-de-Lys. Die gute Dame stand verdrießlich auf. „Zigeunerin“, sprach sie, „wenn Ihr nicht tanzen wollt, du und deine Ziege, was habt ihr denn hier zu schaffen?“
Die Zigeunerin ging, ohne zu antworten, langsam auf die Tür zu. Je mehr sie ihr näher kam, desto langsamer ward ihr Schritt. Ein Magnet schien sie zurückzuhalten. Plötzlich richtete sie ihre von Tränen nassen Augen auf Phoebus und blieb stehen.
„Wahrhaftiger Gott!“ rief der Hauptmann, „so sollst du nicht gehen! Komm, tanze uns etwas! Liebe Schöne, wie heißt du?“ – „Esmeralda“, sprach die Tänzerin, ohne den Blick von ihm abzuwenden.
Bei diesem sonderbaren Namen erscholl ein lautes Gelächter aller Mädchen. „Oh“, rief Diane, „welch ein fürchterlicher Name für ein Mädchen!“ – „Seht Ihr nicht“, sagte Amelotte, „daß sie eine Hexe ist?“ – „Liebe“, sprach feierlich Aloise, „Eure Eltern haben Euch doch nicht sündhaft den Namen in heiliger Taufe gegeben?“
Seit einigen Minuten hatte unterdes Bérangère, ohne daß man auf sie achtete, die Ziege mit einem Stück Marzipan in die Ecke der Stube gelockt. Ein Augenblick machte beide zu zwei intimen Freundinnen. Das neugierige Kind band den Beutel am Halse der Ziege los, öffnete ihn und leerte seinen Inhalt auf die Matte. Es war ein Alphabet, wovon jeder Buchstabe auf ein Täfelchen von Buchsbaumholz geschrieben war. Kaum waren diese dort ausgebreitet, als das erstaunte Kind bemerkte, wie die Ziege einzelne Buchstaben mit der vergoldeten Pfote hervornahm und sie fortstoßend in eine Reihe legte. Es war offenbar eines ihrer Wunder. Die Reihe bildete ein Wort, worauf die Ziege sichtlich eingeübt worden war, denn sie nahm gar keinen Anstand, es zu schreiben. Da rief Bérangère, die Hände aus Bewunderung faltend:
„Pate Fleur-de-Lys, seht doch, was die Ziege tut!“ Fleur-de-Lys lief herbei und zitterte. Die auf den Fußboden nebeneinandergelegten Buchstaben bildeten das Wort
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