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Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Titel: Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo , Pößneck GGP Media GmbH
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oft mit Schrecken sprach: von der häßlichen Klausnerin in der Tour-Roland, die irgendwie einen Haß gegen die Zigeuner gefaßt habe, und so oft sie an der dortigen Luke vorübergehe, sie verfluche, und dann von einem Geistlichen, der ihr nie begegne, ohne durch Worte und Bewegungen sie in Schrecken zu setzen. Dieser letzte Umstand setzte den Archidiakonus in Verlegenheit, die Gringoire aber nicht bemerkte; zwei Monate hatten dem leichtgesinnten Dichter genügt, um alle besonderen Einzelheiten jenes Abends zu vergessen, an dem er die Zigeunerin antraf und auch den Archidiakonus bemerkte. Übrigens lebte die junge Tänzerin ganz sorglos in den Tag hinein: Sie gab sich mit Wahrsagereien nicht ab, und dies schützte Sie vor den Hexenprozessen, mit denen Zigeunerinnen so oft verfolgt wurden. Gringoire galt ihr, wo nicht als Mann, doch als Bruder. Dadurch kam er zu Brot und Lager. Jeden Morgen ging er, am häufigsten mit der Zigeunerin, auf sein neues Geschäft aus und half ihr auf den Kreuzwegen Kupfermünzen einernten; jeden Abend kehrte er mit der Zigeunerin unter dasselbe Dach heim, ließ jene ihr Kämmerchen zuriegeln und schlief dann fest ein. Gewiß, meinte er, war dies Leben nicht bitter und auf jeden Fall mitzunehmen. Auch konnte der Philosoph bei seiner Seele die Versicherung geben, in die Zigeunerin nicht sterblich verliebt zu sein. Beinahe liebte er die Ziege ebensosehr. Diese war ein kluges, geistreiches Tier. Im Mittelalter war nichts gewöhnlicher als solche gelehrten Tiere, die man nicht wenig anstaunte, die aber oft ihre Lehrmeister auf den Scheiterhaufen brachten. Die Hexereien der Ziege mit den vergoldeten Pfoten waren aber ganz unschuldige Streiche. Gringoire erklärte sie dem Archidiakonus, der ein lebhaftes Interesse daran zu nehmen schien. In den meisten Fällen genügte es, das Tamburin der Ziege auf die eine oder andere Weise hinzustellen, um diese oder jene Mummerei von ihr zu erhalten. Die Zigeunerin hatte die Ziege so abgerichtet und besaß für solche Spielereien so großes Talent, daß der Ziege zwei Monate genügten, um das Wort Phoebus mit beweglichen Buchstaben schreiben zu lernen.
    „Phoebus?“ fragte Claude, „weshalb Phoebus?“ – „Ich weiß nicht. Vielleicht ist das Wort mit einer geheimen Tugend oder Hexerei begabt. Sie spricht es oft halblaut aus, wenn sie glaubt, sie wäre ganz allein.“
    „Wißt Ihr gewiß“, fuhr Claude mit durchdringendem Blick zu fragen fort, „daß dies nur ein Wort und kein Name ist?“ – „Von wem?“ – „Was weiß ich?“ – „Herr, ich glaube, die Zigeuner sind Feueranbeter und verehren die Sonne.“ – „Das scheint mir nicht so deutlich Meister Peter.“ – „Übrigens, was kümmert’s mich? Mag sie ihren Phoebus nach Belieben murmeln. Djali liebt mich fast ebensosehr, wie sie.“ – „Wer ist das? – „Die Ziege.“
    Der Archidiakonus legte sein Kinn auf die Hand und schien einen Augenblick nachzusinnen. Plötzlich wandte er sich zu Gringoire mit den Worten: „Schwörst du, sie nicht berührt zu haben?“ – „Wen? Die Ziege?“ – „Nein, das Mädchen.“ – „Meine Frau? Wahrhaftig nicht!“ – „Bist du oft mit ihr allein?“ – „Jeden Abend eine Stunde.“
    Der Archidiakonus runzelte die Stirne.
    „Oh! Oh! Solus cum sola non cogitabuntur orare Paternoster.“* – „Bei meiner Seele, ich könnte das Paternoster, das Ave und das Credo sprechen, ohne daß sie mehr auf mich achtete, als auf ein Huhn in der Kirche.“ – „Schwöre mir bei dem Leibe deiner Mutter, daß du sie nicht berührt hast.“ – „Auch beim Haupte meines Vaters, denn beide Körperteile stehen miteinander in Verhältnis. Aber, ehrwürdiger Meister, erlaubt auch mit eine Frage.“ – „Nun, sprich.“ – „Warum wollt Ihr das wissen?“

    *Lateinisch: Mann und Weib allein werden nicht daran denken, das Vater Unser zu beten.
    Das blasse Antlitz des Archidiakonus errötete wie das eines Mädchens. Er schwieg einen Augenblick, dann sagte er mit sichtbarer Verlegenheit:
    „Hört mich an Meister. Soviel ich weiß, seid Ihr noch nicht verdammt. An Euch nehm’ ich Anteil und wünsche Euch alles Gute. Die geringste Berührung der Zigeunerin aber macht Euch zum Vasallen des Teufels. Der Leib verdirbt die Seele, wie Ihr wißt. Weh Euch, wenn Ihr dem Mädchen nahe tretet!“ – „Einmal versuchte ich’s“, sagte Gringoire und kratzte sich hinter den Ohren; „ich habe mir aber die Finger verbrannt.“ – „Du warst so frech?“ (Die

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