Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame
Stirn des Archidiakonus umwölkte sich aufs neue.) – „Ein andermal“, fuhr der Dichter lächelnd fort, „sah ich durchs Schlüsselloch, als sie sich zu Bett legte; es war die köstlichste Frau im Hemde, unter deren nacktem Fuß jemals der Traggurt des Bettes krachte.“ – „Geh zum Teufel!“ rief der Priester mit furchtbarem Blick, stieß den erstaunten Gringoire fort und ging mit großen Schritten unter die dunkeln Arkaden der Kathedrale.
26. Die Glocken
Seit dem Morgen des Schandpfahls glaubten die Nachbarn von Notre-Dame zu bemerken, Quasimodos Eifer im Glockenläuten sei sehr erkaltet. Früher vernahm man langgezogene Ständchen von der Prime bis zum Komplete, das Brausen der großen Glocke bei Hochmessen, die reichen Tonleitern der Glöckchen bei Ehen und Taufen. Die alte, vibrierende, laut tönende Kirche jubelte beständig mit ihren Glocken. Man vernahm dort stets den lärmenden Geist, der aus kupfernen Kehlen sang. Der Geist schien entschwunden, die Kathedrale düster und mit Vorliebe schweigend; Feste und Beerdigungen erhielten nur eben das nackte Geläut, das der Ritus erforderte; von dem doppelten, inneren und äußeren Brausen der Kirche, dem der Orgel und der Glocken, verblieb nur das der Orgel. Es war, als hätten die Glockentürme ihren Musiker verloren. Quasimodo war doch aber immer gegenwärtig. Was war in ihm vorgegangen? Weilte Scham und Verzweiflung über den Schandpfahl noch in seinem Herzen, und empfand seine Seele noch immer die Hiebe des Folterers? Hatte Schmerz über die Behandlung selbst seine Leidenschaft für die Glocken vertilgt, oder hatte Marie mit ihren Schwestern eine Nebenbuhlerin im Herzen des Glockenläuters?
Es ereignete sich im Jahre der Gnade 1482, daß der Tag der Verkündigung auf Dienstag, den 25. März fiel. Quasimodo fühlte wieder einige Liebe zu seinen Glocken; denn der Tag war schön und heiter. Er stieg also den nördlichen Turm hinan, während der Küster die hohen Tore der Kirche öffnete, die aus ungeheuren Stücken harten, mit Leder bedeckten und mit vergoldeten Nägeln und Schnitzwerk verbrämten Holzes bestanden.
Als Quasimodo in die Glockenstube trat, beschaute er zuerst die sechs kleineren Glocken und erhob traurig das Haupt, als habe sich etwas Fremdartiges zwischen ihn und sie eingedrängt. Als er sie aber in Bewegung gesetzt hatte und merkte, wie die Glockentraube sich unter seiner Hand regte, als er die zitternde Oktave auf der hellen Tonleiter hinabsteigen sah (denn er konnte sie nicht hören), als der Musik-Dämon den armen Tauben mit sich fortriß, wurde er wieder glücklich; sein Herz erweiterte sich und gab seinem Antlitz einen helleren Schein. Er lief hin und her, klatschte in die Hände, eilte von einem Strick zum andern, ermutigte die sechs Sänger mit Zuruf und Gebärde, wie ein Kapellmeister seine Virtuosen anfeuert.
„Auf! Auf! Gabriele“, rief er, „gieß all deinen Lärm auf den Platz! Heute ist Festtag. – Thibauld! Nicht so faul! Du wirst schläfrig! Bist du verrostet, Nichtstuer? – Schnell! Schnell! Daß man den Klöppel nicht sieht. Mach die Leute taub, wie mich! – Brav, Thibauld! – Guillaume! Guillaume! Du bist der dickste, Pasquier ist der kleinste, und Pasquier geht besser. Ich wette, man hört ihn besser als dich. – Schön! Schön! Gabriele! Noch stärker! – He! Was macht ihr beiden Sperlinge! Ich sehe, daß ihr gar nichts tut! – Ihr kupfernen Schnäbel seht aus, als wolltet ihr gähnen, anstatt zu läuten. Arbeitet! Heute ist Mariä Verkündigung! Der Tag ist schön! – Armer Guillaume, du bist schon ganz außer Atem!“
Er dachte an nichts als an seine Glocken, die immer schneller sich schwangen und ihre glänzenden Kreise wie ein lärmendes Gespann spanischer Maultiere, gereizt durch die Reden des Muletero, schüttelten. Plötzlich, als er einen Blick durch die Schieferschuppen des Turmdaches warf, erblickte er auf dem Platze ein bizarr gekleidetes Mädchen, das auf den Boden einen Teppich breitete. Darauf setzte sich eine Ziege, und ein Kreis von Zuschauern umringte beide. Dieser Anblick änderte plötzlich die Richtung seiner Gedanken und brachte seinen musikalischen Enthusiasmus zum Gerinnen, wie ein Windstoß fließendes Harz. Er hielt an, wandte dem Glockenspiel den Rücken und kauerte hinter der Luke von Schiefer, indem er auf die Tänzerin den trüben, sanften, zärtlichen Blick heftete, über den der Archidiakonus schon einmal erstaunt war. Der Schall der vergessenen Glocken erlosch plötzlich
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