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Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Titel: Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo , Pößneck GGP Media GmbH
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blickte.
    „Ja, Manu sagte es mit Zoroaster! Aus Feuer entspringt die Sonne, der Mond aus der Sonne. Das Feuer ist die Seele des Weltalls; seine Atome fließen unaufhörlich in unendlichen Strömen. Wenn sie am Himmel sich durchschneiden, schaffen sie das Licht; durchschneiden sie sich auf der Erde, schaffen sie das Gold. – Gold und Licht, dasselbe! – Feuer im konkreten Zustande! – Der Unterschied zwischen dem Flüssigen und Festen, nichts weiter! Wie Eis und Wasser. – Kein Traum. – Allgemeines Naturgesetz. – Wie soll man das Geheimnis des allgemeinen Gesetzes aufspüren? Das Licht, das meine Hand umfließt, besteht aus erweiterten Atomen. Man braucht sie nur zu verdichten. Aber wie? – Averrhoës* verbarg den Sonnenstrahl in der Moschee von Cordova, links vom Allerheiligsten unter dem Hauptpfeiler. Aber erst in achttausend Jahren darf man die Höhle öffnen, um zu sehen, ob die Operation gelang.“

    *Arabischer Arzt und Philosoph (1126-1198)
    „Andere dachten“, fuhr der Archidiakonus sinnend fort, „es sei besser mit einem Strahl des Sirius zu operieren. Aber wie kann man diesen Strahl rein erhalten, da die Strahlen anderer Sterne sich mit ihm mischen? – Flamel glaubt, es sei einfacher, mit irdischem Feuer zu operieren. – Flamel, ein prädestinierter Name! Flamma! – Ja, Feuer, das ist alles! – Diamant ist Kohle, Gold ist Feuer. – Wie soll man aber Gold aus dem Feuer entbinden? – Magistri behauptet, es gebe gewisse Frauennamen, die man nur bei der Operation auszusprechen brauche. – Was sagt Manu? ,Wo die Frauen geehrt sind, freut sich die Gottheit. Wo sie verachtet werden, hilft es nichts, zu Gott zu beten. – Der Mund einer Frau ist ewig rein, ein rieselnder Strom, ein Strahl der Sonne. – Der Name einer Frau muß angenehm, süß sein, mit langen Vokalen enden und den Worten des Segens gleichen.‘ Ja, der Weise hat recht, Maria, Sophia, Esmeralda. Verdammt, ewig der Gedanke …“
    Heftig schlug er das Buch zu.
    „Seit einiger Zeit“, fuhr er mit bitterem Lächeln fort, „mißlingen mir alle Experimente. Ein fixer Gedanke quält mich und lähmt mein Gehirn. Ich konnte nicht einmal des Cassiodorus’ Geheimnis auffinden, dessen Lampe ohne Docht und Öl brannte. Und doch wie einfach!“
    „Pest!“ murmelte Jehan zwischen den Zähnen.
    „Ein einziger Gedanke genügt also, den Menschen schwach und töricht zu machen. Wie würde Claude Frollo meiner spotten, jenes Weib, das auch nicht einen Augenblick Flamel von der Erforschung des großen Geheimnisses abwenden konnte. – Was! Ich halte in der Hand den magischen Hammer Zechieles! So oft der furchtbare Rabbiner in seiner Zelle auf diesen Nagel mit dem Hammer schlug, sank der Feind, den er verdammte, und war er auch zweitausend Stunden entfernt, zwei Ellen unter der Erde, die ihn verschlang. Selbst der König von Frankreich fiel bis an die Knie in das Pflaster von Paris, weil er einst unbedachtsam an die Tür des Wundertäters geklopft hatte. – Das geschah vor dreihundert Jahren. – Gut! Ich habe Hammer und Nagel, und in meiner Hand ist dies kein furchtbareres Werkzeug als der Hammer eines Blechschmieds. – Doch vielleicht finde ich das magische Wort, das Zechiele aussprach, wenn er auf den Nagel schlug.“
    Kleinigkeit, dachte Jehan.
    „Versuch’ ich’s!“ begann der Archidiakonus aufs neue. „Gelingt es mir, so springt der blaue Funke aus dem Nagel. – Emen-Hétan! Emen-Hétan! – Das ist’s nicht. – Sigéani, Sigéani! – Dieser Name öffne das Grab jedem, der Phoebus heißt. – Verflucht, ewig denselben Gedanken!“
    Zornig warf er den Hammer weg. Dann sank er so tief in seinen Lehnstuhl und über den Tisch zurück, daß Jehan ihn hinter der hohen Lehne aus den Augen verlor. Einige Minuten lang sah er nur seines Bruders konvulsivisch geballte Faust auf einem Buche. Plötzlich erhob sich Claude, nahm einen Zirkel und grub in die Mauer das griechische Wort ‘ANAGKH.
    Mein Bruder ist ein Narr, dachte Jehan; er hätte einfacher Fatum hingeschrieben; alle Welt braucht nicht Griechisch zu verstehen.
    Der Archidiakonus setzte sich wieder in den Sessel, stützte das Haupt auf beide Hände, wie ein Kranker, der an heftigen und brennenden Kopfschmerzen leidet.
    Der Student beobachtete überrascht seinen Bruder; da er selbst sein Herz gleichsam der freien Luft immerwährend aussetzte, nur das Gesetz der Natur beobachtete und seine Leidenschaften stets im natürlichen Bett ablaufen ließ, so daß der See heftiger

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