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Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Titel: Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo , Pößneck GGP Media GmbH
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zitterte vor dieser Szene der Liebe, der Nacht und der Wollust. Ungewöhnliche Bewegung regte ihn auf. Sein Auge tauchte mit lüsterner Eifersucht unter das sich lösende Gewand. Als der Unglückliche sich an die wurmstichigen Bretter lehnte, glich er einem Tiger, der im Käfig einen Schakal beschaut, wie dieser eine Gazelle verschlingt. Sein Augapfel funkelte wie ein Licht durch die Spalten der Tür.
    Plötzlich riß Phoebus mit schneller Bewegung der Zigeunerin das Busentuch herunter. Das arme Mädchen, das blaß und sinnend dasaß, fuhr jäh auf, entfernte sich schnell von dem unternehmenden Offizier, warf einen Blick auf ihren nackten Busen, errötete, blieb stumm aus Scham und kreuzte ihre schönen Arme über der Brust, diese zu verbergen. Wäre die Flamme nicht gewesen, die ihre Wangen entzündete, hätte man bei ihrer Unbeweglichkeit glauben können, sie sei eine Statue der Scham. Ihre Augen blieben gesenkt. Die Hand des Hauptmanns hatte auch das geheimnisvolle Amulett, das sie am Busen trug, entblößt. „Was ist das?“ sprach er, um diesen Vorwand benutzen zu können, sich dem schönen Mädchen, das er soeben verscheucht hatte, wieder zu nähern.
    „Berührt es nicht“, antwortete sie heftig, „es beschützt mich. Durch dieses Amulett finde ich meine Familie wieder, wenn ich ihrer würdig bleibe. Laßt mich, Herr Hauptmann! Meine Mutter, meine arme Mutter! Wo bist du? Zu Hilfe! Bitte, Herr Phoebus, gebt mir mein Busentuch zurück.“
    Phoebus fuhr zurück und sagte kalt: „Oh, Mädchen! Ich sehe wohl, Ihr liebt mich nicht.“
    „Ich liebe Euch nicht?“ rief die Unglückliche, hängte sich an seinen Hals und ließ ihn sich neben ihr niedersetzen. „Ich liebe dich nicht, mein Phoebus! Was sagst du da, Böser, mir mein Herz zu zerreißen! Wohlan! Nimm mich, nimm alles. Mach, was du willst! Ich bin dein! Was kümmert mich das Amulett? Was kümmert mich meine Mutter? Du bist mir Mutter, weil ich dich liebe. Phoebus, mein Geliebter, siehst du nicht? Wohl, wir heiraten nicht! Das ist dir nicht angenehm! Wer bin ich? Ein armes Mädchen der Straße, und du bist von Adel. Ja, ich war töricht! Eine Tänzerin wollte einen Offizier heiraten! Nein, Phoebus, nein! Deine Geliebte, dein Vergnügen will ich sein, alles, was du willst. Ach, ich dachte es nicht! Entehrt, verachtet, befleckt! Aber geliebt! Dann bin ich die stolzeste, heiterste aller Frauen. Und bin ich häßlich und alt und kann nicht mehr geliebt werden, will ich Eure Magd sein.“
    So sprechend schlang sie ihren Arm um den Hals des Offiziers, betrachtete ihn bittend, lächelnd und mit Tränen in den Augen. Berauscht heftete der Hauptmann seine Lippen auf die schönen nackten Schultern. Das Mädchen richtete die schwimmenden Augen auf die Decke, lag zurückgelehnt und bebte unter dem Kuß. Plötzlich erblickte sie über Phoebus’ Haupt einen zweiten Kopf. Eine leichenfarbene, krampfhaft verzerrte Gestalt mit dem Blick eines Verdammten; neben dem Haupt war ein Dolch erhoben. Bei der furchtbaren Erscheinung war das junge Mädchen stumm, unbeweglich erstarrt; sie konnte nicht einmal einen Schrei ausstoßen und sah, wie der Dolch auf Phoebus sich senkte und rauchend sich erhob. – „Fluch!“ rief der Hauptmann und sank zu Boden.
    Sie fiel in Ohnmacht. Als ihre Augen sich schlossen und jedes Gefühl ihr entschwand, glaubte sie auf ihren Lippen eine feurige Berührung, einen Kuß, brennender als das Gluteisen des Henkers, zu empfinden. Als sie wieder zu sich kam, war sie von Soldaten der Wache umgeben; den blutenden Hauptmann trug man fort; der Priester war verschwunden. Sie hörte Stimmen um sich her, sie sagten: „Die Hexe hat den Hauptmann niedergestoßen.“

32. Der verwandelte Taler
    Gringoire und der ganze Hof der Wunder schwebte in großer Angst. Schon ein Monat war verflossen, ohne daß man irgend etwas von der verschwundenen Esmeralda gehört hatte, was den Zigeunerherzog und alle Gauner sehr betrübte; auch wußte man nichts von der Ziege, worüber Gringoire doppelt traurig ward. Die Zigeunerin war eines Abends verschwunden, und seitdem hatte man kein Lebenszeichen von ihr bemerkt. Alle Nachforschungen blieben fruchtlos. Einige berichteten Gringoire, sie wären ihr eines Abends auf der Brücke St. Michel mit einem Offizier begegnet; der Zigeuner-Ehemann war aber ein ungläubiger Philosoph und wußte besser als irgend jemand, wie weit seine Frau keusch geblieben war. Er konnte sich das Verschwinden nicht erklären. Sein Kummer war tief. Er

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