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Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)

Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)

Titel: Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Lukschy
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Müller genau einen Tag Zeit, um die drei Statements zu drehen. Zusätzlich hatten wir noch vor, einige kurze Loriot-Gedichte aufzunehmen. Die Drehortsuche im Haus und die damit verbundenen Probeaufnahmen wurden mit der Loriot eigenen Akribie angegangen. Er nahm auf den verschiedensten Sesseln in den verschiedensten Zimmern Platz, und ich positionierte die Kamera in allen nur vorstellbaren Winkeln. Nach vielen Versuchen fanden wir die ideale Lösung.
    Will man mit einer kleinen Handycam Bilder mit einem halbwegs professionellen Look erzeugen, muss man mit der Kamera sehr weit weg vom Aufnahmeobjekt stehen und gleichzeitig hinter dem Aufzunehmenden noch viel Tiefe haben. Die Kamera wanderte ins Bülow’sche Esszimmer, Vicco saß auf einem Hocker im Wohnzimmer vor der geöffneten Tür seines Arbeitszimmers, dessen Rückwand unscharf den Bildhintergrund ausmachte. Um eine Einstellung zu bekommen, die Loriots ästhetischen Ansprüchen genügte, benötigten wir die gesamte Länge seines Hauses.
    Das Licht kam von meinen mitgebrachten kleinen Scheinwerfern, in der Hauptsache aber von draußen. Die dunkelgrünen Fensterläden wurden stufenlos angekippt, um das Tageslicht in der optimalen Helligkeit einzustellen.
    Vor Vicco stand ein Klapptischchen, das sonst in seinem Büro als Ablage für Post diente. Auf dem schräg gestellten Tischchen lag sein Text, in großen Buchstaben ausgedruckt. Er wollte die komplizierten Formulierungen nicht auswendig lernen, aber dennoch den Blick in die Kamera so lange wie möglich halten. Einen professionellen Teleprompter gab es nicht, denn das hätte riesiges Equipment (verboten!) und ein zusätzliches Teammitglied bedeutet (auch verboten!).
    Das Team blieb übersichtlich. Meine Frau Liele, eine Atem- und Stimmtherapeutin mit feinen Ohren, war die Tonfrau. Ich war Oberbeleuchter, Kameramann, Kameraassistent und Regisseur in Personalunion. Romi fungierte als Garderobiere und Maskenbildnerin. Ein Dreamteam.
    Vicco blühte auf. Endlich stand beziehungsweise saß er wieder vor einer Kamera, und das Team bestand nur aus vertrauten Menschen.
    Nicht ganz einfach war die Sache mit der Brille. Wenn er seinen Text ablas, verdeckte der obere Rand seiner Halbbrille immer wieder seine Augen. Der Perfektionist Loriot sah sich die Probetakes an und war unzufrieden. Wir konnten sein Tischchen aber nicht höher stellen, weil es sonst ins Bild geragt hätte. Millimeterweise tasteten wir uns von unten an die Bildgrenze heran.
    Nachdem wir alle technischen Probleme im Griff hatten, verlas Vicco seine drei Statements. Es war eine Freude, ihm dabei zuzusehen. Wir drehten ziemlich viele Takes. Um sie miteinander kombinieren zu können, nahmen wir als Zwischenschnitt Mops Emil auf, der mit großen Glubschaugen seinem Herrchen beim Rezitieren zusah. Man glaubt es kaum, aber wir haben an unserem ersten Drehtag achteinhalb MinutenFilm geschafft. Das Pflichtprogramm war im Kasten, die Aufnahme der Gedichte wurde auf den Tag nach dem Interview verschoben.
    Tags darauf reiste Claudia Müller an. Nachdem die Fragen noch einmal durchgegangen waren, setzten wir uns gemütlich um den Wohnzimmertisch. Ich richtete das Licht ein und nahm mit meiner Handycam in der Hand neben Frau Müller auf dem Sofa Platz. Meine Frau kümmerte sich wieder um den Ton, Romi richtete Viccos Haare, er selbst saß in seinem Sessel. Das Interview konnte beginnen.
    Nach der ersten Sitzung schauten wir uns das gedrehte Material sofort an. Vicco war mit dem Ergebnis weitgehend zufrieden. »Aber findet ihr nicht, dass ich grauenhaft alt aussehe?« – »Du bist alt, Vicco«, antwortete ich ihm. Er lachte, und das Interview durfte fortgesetzt werden.
    Am meisten beeindruckte mich, wie offen er über den Umgang eines Achtzehnjährigen mit seiner Einsamkeit im Krieg sprach, unter Millionen von Menschen, irgendwo in der Fremde. Er fühlte sich »herausgerissen aus der Zeit, in der man vorher gelebt hat«, und in der neuen Zeit, in die er hineingeraten war, sehr allein. Sein Glück war, dass er in seiner Schulzeit mit großem Vergnügen klassische Dramen und Monologe auswendig gelernt hatte. »Und da kam mir sehr zupass, dass ich dann in dieser Gegend, dieser fremden Welt, etwas zitieren konnte, was in meine alte Welt gehörte.« Die »alte Welt«, das waren Shakespeare, Goethe, Schiller und andere. »Und das Merkwürdige ist, dass ich diese Monologe bis heute auswendig kann.«
    Ich war wohl deshalb so berührt von dieser Passage, weil ich gewisse

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