Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)
»Titanen ihrer Zeit« schrieb er 2004: »Es war die Sprache der Schauspieler und mit ihr ein Gefühl von Betroffenheit und Theaterglück.« Als junger Mann wurde er an Georges Seite im »Schiller«-Film als Komparse kurz überschwenkt. George spielte den Herzog Karl Eugen von Württemberg und schritt die Freitreppe des Stuttgarter Schlosses Solitude herab, auf der Vicco Spalier stand. Wir haben die Szene mehrfach zusammen angesehen, ihn im Schwenk aber leider nie finden können.
Selbstverständlich hatte ich Lust, Vicco zu seinem neuerlichen UdK-Workshop zu begleiten. Beim Verlassen meiner Wohnung erinnerte ich mich, wie aufregend der erste Workshop war, schnappte mir meine Videokamera, steckte ein paar Leerkassetten ein und fuhr zum Savignyplatz, um Vicco abzuholen.
Professor Loriot bei seinem ersten Schauspielworkshop an der UdK
Das Studio der UdK befindet sich in einer ehemaligen Fabriketage in Berlin-Halensee, in einer Seitenstraße am oberen Ende des Kudamms. Vicco liebte die künstlerische Arbeitsatmosphäre, die dieser Ort ausstrahlte.
Diesmal ging es nicht um Klassiker, sondern um Loriots eigene Texte. Die Schauspielschüler hatten eine Auswahl seiner Gedichte und Szenen vorbereitet, ihre Erwartungen waren groß. Das spürbare Interesse der jungen Leute rührte Vicco sehr.
Er nahm auf einem unbequemen Holzstuhl Platz und begann sofort mit der Arbeit. Hochkonzentriert probte er mit der Gruppe seine Gedichte und Szenen, korrigierte, lobte, trug selber vor und war ein guter Lehrer in eigener Sache.
Ich versuchte mit meiner Kamera möglichst viel von der Atmosphäre und den Details der Arbeit einzufangen. Im Grunde hätte man zwei oder drei Kameras gebraucht, der Dreh wäre dann allerdings nicht mehr so diskret verlaufen. Vicco vergaß sehr schnell, dass ich den Workshop filmte. Wohl nicht zuletzt deswegen hatte er nicht eine Sekunde lang das Gefühl, »Loriot« sein zu müssen.
Die Schauspielschüler hatten nicht erwartet, dass er sich ihnen so lange und ausgiebig widmen würde. Sie genossen den Ernst, aber auch die Leichtigkeit und Komik, mit der Vicco ihnen Grundsätzliches beibrachte. Es ging um Betonungen, um den »Double Take« (dessen Meister Cary Grant war) und darum, nicht laut und schenkelklopfend zu sein, sondern im Stillen das Komische zu entdecken.
Dem Sketch »Geigen und Trompeten« widmete er besondere Aufmerksamkeit. Erst wurde mit einigen Studenten geprobt, dann lieferte Vicco eine messerscharfe Analyse seines eigenen Textes ab, in der er zum Erstaunen aller deutlich machte, dass es sich keinesfalls um ein albernes Unsinnsgespräch über Instrumentenmissbrauch handelt (»Kein Geiger würde einen Trompeter in seine Geige blasen lassen …«), sondern um den erbitterten Machtkampf eines Ehepaares um die Kommunikationshoheit.
Schließlich bot er den Eleven noch etwas Klassisches und rezitierte auswendig, flüssig und fehlerfrei Hamlets Monolog aus dem zweiten Akt (»O, welch ein Schurk’ und niedrer Sklav’ bin ich!«).
Nachdem er drei Stunden ohne Pause mit den Studenten gearbeitet hatte, fiel es ihm schwer, aus dem Stuhl aufzustehen. Die hohe Konzentration hatte ihn seine Rückenbeschwerden vollständig vergessen lassen.
☞ GEGENSCHUSS HARALD CLEMEN ☜
Es war ein großes Glück für unsere Studenten, dass wir Loriot im Jahr 2002 als Honorarprofessor an die Universität der Künste holen durften.
Loriot wollte mit den Studenten im kleinen intimen Kreis an Texten arbeiten. Sie hatten den Auftrag, seine Texte sowie Monologe von Shakespeare und Kleist vorzubereiten. Er begegnete den Studenten mit Liebe und Genauigkeit. Liebe und Genauigkeit – das war Loriots Grundhaltung in seiner gesamten Arbeit. Er hörte den jungen Menschen mit höchster Aufmerksamkeit zu und korrigierte dann akribisch Betonung, Färbung und Rhythmus der Worte. Die Studenten waren begeistert. Als er einmal eigentlich nur eine Stelle aus Hamlets Monolog am Grab korrigieren wollte, wurde er hingerissen und sprach den gesamten Monolog. Wir waren tief berührt.
Einmal, wir saßen in Loriots Lieblingslokal, in dem wir uns regelmäßig zu langen Gesprächen trafen, zeigte er mir seine gerade entstandenen Bilder, die »Nachtschattengewächse«, wie er sie nannte. Loriot war von einem schweren Augenleiden heimgesucht worden, er sah Chimären und Doppelbilder, und was tat er? Er fing an, wieder zu malen, im hohen Alter: den beschädigten Menschen, oft Selbstbildnisse. Ein lebensnotwendiger Ausdruck der neu
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