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Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)

Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition)

Titel: Der Glückliche schlägt keine Hunde: Ein Loriot Porträt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Lukschy
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Parallelen zu meiner eigenen Biographie sah. Als ich siebzehn war, also in dem Alter, in dem Vicco zum Militär ging, starb meine Mutter. Natürlich ist der Verlust der Mutter eine gänzlich andere Katastrophe als ein Krieg, aber auch mich retteten damals Bach, Mozart, Beethoven und Brahms vor derVerzweiflung, und auch ich habe deren Hauptwerke bis heute tief im Gedächtnis.
    Nachdem Claudia Müller abgereist war, gab es Abendessen und anschließend Boxen. Boxen war Viccos Schönstes. Warum der feingeistige Loriot ausgerechnet Boxen so sehr liebte, war mir immer ein gewisses Rätsel. Lag es vielleicht daran, dass hier Witz und Ironie so gar nicht am Platz waren? Wie dem auch sei, Wladimir Klitschko verteidigte erfolgreich seinen Weltmeistertitel gegen den US-Amerikaner Tony Thompson. In den vielen Werbepausen ging Vicco immer wieder in sein Arbeitszimmer, um sich einem neuen »Nachtschattengewächs« zu widmen. Selbst während des mehr als verdienten Feierabends ließ ihn seine Kreativität nicht ruhen. Ich hatte die Kamera noch aufnahmebereit und filmte ihn ausgiebig beim Zeichnen.
    Der Tag nach dem Interview war der Tag der Lyrik. Wir nahmen die Loriot-Gedichte »Teddy«, »Ein deutsches Kinderlied«, »Melusine« und »Wunderbar« auf. Vicco war erleichtert, das Interview hinter sich zu haben, und in Bestform. Nachdem das letzte Gedicht abgedreht war und ich die Kamera schon ausgeschaltet hatte, überraschte er mich. Er saß noch auf seinem Stuhl und hob spontan zum Schlussmonolog aus Kleists »Prinz Friedrich von Homburg« an:

    Nun, o Unsterblichkeit, bist du ganz mein!
    Du strahlst mir, durch die Binde meiner Augen,
    Mir Glanz der tausendfachen Sonne zu!
    Es wachsen Flügel mir an beiden Schultern,
    Durch stille Ätherräume schwingt mein Geist;
    Und wie ein Schiff, vom Hauch des Winds entführt,
    Die muntre Hafenstadt versinken sieht,
    So geht mir dämmernd alles Leben unter:
    Jetzt unterscheid ich Farben noch und Formen,
    Und jetzt liegt Nebel alles unter mir.
    Ohne auch nur ein einziges Mal ins Stocken zu kommen, sagte er den Monolog fehlerfrei aus dem Gedächtnis her. Ich bekam eine Gänsehaut und bat ihn, den Monolog noch einmal, diesmal ohne Brille und mit Blick in die Kamera, für eine Aufnahme zu rezitieren. Er wollte, und so entstand ein weiteres eindrucksvolles Dokument – voller Poesie, Melancholie und Todesahnung.
    »Melusine« (»Kraweel, Kraweel …«) aus dem Film »Pappa ante Portas« haben wir in sieben, leicht unterschiedlichen Varianten gedreht. Sie liefen später alle hintereinander als Dauerschleife während der Ausstellung im Berliner Filmmuseum.
    Nun würde man meinen, dass Vicco sich nach diesen wahrlich anstrengenden Tagen eine Pause gegönnte hätte. Aber nein, nur einen Tag später kamen Peter Paul Kubitz und Gerlinde Waz vom Filmmuseum nach Ammerland, um sein Archiv zu durchstöbern.
    Loriots Privatarchiv ist erstaunlich. Zeichnungen, Werbe-Annoncen, Prospekte, jede Menge Merchandising-Artikel, Bücher, Bierdeckel, Bühnenbilder, Kostümentwürfe, Filme – den Museumsleuten gingen die Augen über. Sie fühlten sich wie zwei Kinder in einem nur für sie geöffneten Spielzeugladen.
    Für Vicco war das alles anstrengend und beglückend zugleich. Er sonnte sich schon ein bisschen in dem Gefühl, auch bei sehr viel jüngeren Leuten noch so ungeheuer populär zu sein, andererseits fiel es ihm zusehends schwerer, die Schattenseiten der Popularität zu ertragen.
    Und er ließ es sich nicht nehmen, über allen Aktivitäten, die zu seinem Geburtstag geplant waren, sein wachendes Auge ruhen zu lassen. So bat er mich, in seinem Auftrag das Berliner Schillertheater zu inspizieren, und ich reiste nach Köln, um mir eine Theaterproduktion seiner Sketche anzusehen, in denen einige der Schauspieler mitwirkten, die auch in der Jubiläumsaufführung im Schillertheater auftreten würden.
    Die Proben für das Berliner Gastspiel mit Gunnar Möller und Christiane Hammacher fanden in München statt. Selbstverständlich ging Vicco mit Romi hin und ließ sich das Ergebnis vorführen. Er saß hochkonzentriert zwei Stunden da und beschenkte den Regisseur Stefan Zimmermann und die Schauspieler anschließend mit detaillierter Kritik, die allen half, seine Sketche noch besser auf die Bühne zu bringen.

Professor Loriot
    Manches, was in diesem ereignisreichen Jahr 2008 an ihn herangetragen wurde, machte ihm besondere Freude. So fragte ihn unser gemeinsamer Freund, der Theaterregisseur und Schauspielprofessor

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