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Der glückliche Tod

Der glückliche Tod

Titel: Der glückliche Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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des niederbrennenden Feuers erfaßt. Mit einemmal hatte man das Gefühl, daß in dem Fensterviereck hinter den Seidenvorhängen die Nacht sich öffnete. Irgend etwas entspannte sich hinter den Scheiben. Ein milchiger Schimmer drang in den Raum, und Mersault erkannte auf den ironischen stummen Lippen des Bodhisattwa und auf den ziselierten Kupfergefäßen das vertraute flüchtige Antlitz der Sternen- und Mondnächte, die er so sehr liebte. Es war, als habe die Nacht die Wolken, die auf ihr lagerten, abgestreift und strahle jetzt in ihrem ruhigen Glanz. Die Autos auf der Straße glitten weniger schnell vorbei. Unten im Tal machten nach einem kurzen Aufschwirren die Vögel sich bereit für den Schlaf. Man hörte Schritte vor dem Haus, und in der Dunkelheit, die wie Milch über die Welt hinflutete, klangen alle Geräusche weiter und heller. Aus dem sich rötenden Feuer, dem zuckenden Erwachen des Raumes und dem geheimen Leben der vertrauten Gegenstände, die ihn umgaben, spann sich eine leichte Poesie, die in Mersault die Bereitschaft schuf, anderen Sinnes, mit Vertrauen und Liebe aufzunehmen, was Zagreus ihm sagen würde. Er lehnte sich etwas auf seinem Sessel zurück, und mit dem Blick auf den Himmel hörte er Zagreus' sonderbare Geschichte an.
     
    «Ich bin sicher», begann dieser, «daß man ohne Geld nicht glücklich sein kann. Damit ist alles gesagt. Ich kann es weder leiden, daß man die Dinge leicht, noch daß man sie romantisch nimmt. Ich will Klarheit haben. Nun, ich habe festgestellt, daß gewisse Ausnahmewesen eine Art von geistigem Snobismus pflegen und sich einbilden, Geld sei nicht unerläßlich notwendig, um glücklich zu sein. Das ist dumm, das ist falsch und in gewissem Maß sogar feige. Sehen Sie, Mersault, für einen Menschen von guter Herkunft ist Glücklichsein niemals kompliziert. Es genügt, wenn er das Schicksal aller übrigen auf sich nimmt, nicht mit dem Willen zum Verzicht, wie so viele falsche große Männer, sondern mit dem Willen zum Glück. Nur braucht es, um glücklich zu sein, Zeit. Sehr viel Zeit. Auch Glücklichsein erfordert viel Geduld. Und in fast allen Fällen bringen wir unser Leben damit hin, Geld zu verdienen, während man Geld haben müßte, um Zeit für sich zu gewinnen. Das ist das einzige Problem, das mich je interessiert hat. Es ist eindeutig. Es ist klar.»
     
    Zagreus hielt inne und schloß die Augen. Mersault betrachtete beharrlich den Himmel. Einen Augenblick lang traten die Geräusche von der Straße und den Feldern draußen deutlich hervor. Dann fuhr Zagreus ohne Eile fort:
     
    «Oh! Ich weiß natürlich, daß die meisten Reichen keinen Sinn haben für das Glück. Doch darum geht es nicht. Geld haben bedeutet über Zeit verfügen. Ich gehe aber nicht davon aus. Man kann sich die Zeit kaufen. Man kann alles kaufen. Reich sein oder werden, bedeutet Zeit haben, um glücklich zu sein, wenn man würdig ist, es zu sein.»
     
    Er sah Patrice an:
     
    «Mit fünfundzwanzig Jahren, Mersault, hatte ich schon begriffen, daß jede Kreatur, die Sinn für das Glück, den Willen zum Glück und das Verlangen danach hat, auch das Recht besitzt, reich zu sein. Das Verlangen nach Glück kam mir wie das Edelste im menschlichen Herzen vor. In meinen Augen rechtfertigte es alles. Ein reines Herz genügte dafür.»
     
    Zagreus, der Mersault immer noch ansah, sprach auf einmal sehr langsam, mit einer kalten, harten Stimme, als wolle er Mersault aus seinem scheinbaren Zustand der Geistesabwesenheit reißen. «Mit fünfundzwanzig Jahren habe ich angefangen, mir mein Vermögen zu schaffen. Ich bin nicht vor Betrug zurückgeschreckt. Ich wäre vor nichts zurückgeschreckt. Innerhalb von ein paar Jahren hatte ich meine gesamte flüssige Habe beisammen. Stellen Sie sich vor, Mersault, beinahe zwei Millionen. Die Welt tat sich mir auf. Und mit der Welt das Leben, von dem ich in der Einsamkeit und in glühenden Phantasien träumte ...» Nach einer Pause fuhr Zagreus mit gedämpfterer Stimme fort: «Das Leben, das ich gehabt hätte, Mersault, wenn mir nicht fast gleich darauf der Unfall meine Beine genommen hätte. Ich habe nicht Schluß zu machen gewußt. . . Und da bin ich nun. Sie verstehen gut, nicht wahr, daß ich ein derart eingeschränktes Leben nicht habe fortführen wollen. Seit zwanzig Jahren habe ich mein Geld hier bei mir. Ich habe bescheiden gelebt. Ich habe die Summe kaum angegriffen.» Er strich sich mit seinen harten Händen über die Lider und fuhr mit leiserer Stimme fort:

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