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Der glückliche Tod

Der glückliche Tod

Titel: Der glückliche Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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an euch beide denke, sehe ich ihn auf dir kriechen wie einen dicken Wurm. Du verstehst, daß mir das einfach widerwärtig ist. Gib dir also keine Mühe, mein Engel.»
     
    Und in der nächsten Zeit besuchte er Zagreus allein. Zagreus sprach schnell und viel, er lachte, wurde aber dann wieder still. Mersault fühlte sich wohl in dem großen Zimmer, in dem Zagreus sich aufhielt — zwischen seinen Büchern und seinen marokkanischen Kupfergeräten, dem Kaminfeuer und den Lichtreflexen auf dem verschlossenen Antlitz des KhmerBuddha auf dem Arbeitstisch. Was ihn bei dem Krüppel überraschte, war, daß er nach dachte, ehe er sprach. Im übrigen genügten die verhaltene Leidenschaft, das glühende Leben, das diesen lächerlichen Rumpf durchflutete, um Mersault zu fesseln und in ihm etwas entstehen zu lassen, das er bei ein wenig mehr Geneigtheit für Freundschaft hätte halten können.
     

 IV
     
    An diesem Sonntagnachmittag war Roland Zagreus, nachdem er viel geredet und allerlei Spaß gemacht hatte, am Kaminfeuer in seinem großen Rollstuhl, wo er aus seiner weißen Decke herausragte, in Schweigen verfallen. An das Bücherregal gelehnt, betrachtete Mersault den Himmel und die Landschaft hinter den weißseidenen Fenstervorhängen. Er war bei einem leichten feinen Regen hergekommen und aus Furcht, zu früh daran zu sein, eine Stunde lang in der Gegend umhergeirrt. Das Wetter war unfreundlich, und ohne den Wind zu hören, sah Mersault doch, wie die Bäume und das Laub in dem kleinen Tal sich lautlos hin und her wendeten. Von der Straße her hörte man einen Milchwagen mit viel Geklapper von Holz und Blech vorüberfahren. Fast gleich darauf wurde der Regen heftiger und klatschte gegen die Fenster. Bei diesem Regen, der wie dickflüssiges Öl an den Scheiben entlangrann, dem hohlen fernen Geräusch der Pferdehufe, das man jetzt deutlicher hörte als das Wagengerumpel, nahm alles, das dumpfe, beharrliche Regenrauschen, dieser Mann, der wie ein großer Krug neben dem Feuer hockte, und die Stille im Zimmer, die Züge von etwas Vergangenem an, das Mersaults Herz mit dumpfer Schwermut durchdrang wie kurz zuvor das Wasser seine feuchten Schuhe und die Kälte seine durch den dünnen Stoff zu wenig geschützten Knie. Ein paar Augenblicke zuvor hatte die verdunstende Feuchtigkeit, die von oben herabsank und weder Nebel noch Regen war, sein Gesicht genetzt wie eine leicht darübergleitende Hand und seine tief verschatteten Augen freigespült. Jetzt starrte er in den Himmel, aus dessen Tiefen unaufhörlich schwarze Wolken quollen, die sich gleich wieder auflösten und anderen, neuen wichen. Die Falte seiner Hose war verschwunden und mit ihr die Wärme und das Selbstvertrauen, die ein normaler Mensch in einer Welt, die für ihn gemacht ist, mit sich herumzutragen pflegt. Deshalb trat er ans Feuer und näherte sich Zagreus und setzte sich ihm gegenüber, ein wenig im Schatten des hohen Kamins und noch immer den Himmel vor sich. Zagreus sah ihn an, wandte dann die Augen ab und warf ein Papierknäuel, das er in der linken Hand hielt, ins Feuer. Bei dieser an sich lächerlichen Bewegung empfand Mersault das Unbehagen, das ihn stets beim Anblick dieses nur noch halb lebendigen Körpers befiel. Zagreus lächelte, sagte aber nichts. Und plötzlich beugte er sein Gesicht zu ihm vor. Die Flammen warfen ihren Schein nur auf seine linke Wange, aber etwas in seiner Stimme und in seinem Blick erwärmte sich.
     
    «Sie sehen müde aus», sagte er.
     
    Aus einer gewissen Schamhaftigkeit heraus antwortete Mersault nur: «Ja, ich langweile mich », erhob sich nach einiger Zeit, ging auf das Fenster zu und setzte, während er hinaussah, hinzu: «Ich habe Lust zu heiraten, mir das Leben zu nehmen oder «L’Illustration» zu abonnieren. Irgendeine verzweifelte Geste, was weiß ich!»
     
    Der andere lächelte: «Sie sind arm, Mersault. Das erklärt Ihre Unlust schon halb. Die andere Hälfte verdanken Sie Ihrem törichten Akzeptieren der Armut.»
     
    Mersault kehrte ihm noch immer den Rücken zu und betrachtete die windbewegten Bäume. Zagreus glättete mit der Hand die Decke, die auf seinen Beinstümpfen lag.
     
    «Sie wissen ja. Ein Mann schätzt sich selbst immer nach dem Gleichgewicht ein, das er zwischen seinen körperlichen Bedürfnissen und den Anforderungen seines Geistes herzustellen weiß. Sie selber sind gerade dabei, sich einzuschätzen, und zwar mit miserablem Ergebnis, Mersault. Sie leben verkehrt. Sie leben wie ein Barbar.» Er

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